Wenn beim streitbaren Thema Bildung Einigkeit herrscht, dann in diesem Punkt: Schulen sind mehr als Orte des Lernens. Kinder und Jugendliche verbringen hier einen bedeutenden Teil ihres Lebens, pflegen soziale Kontakte und entwickeln ihre eigene Persönlichkeit. Viele dieser Dinge sind durch die Corona-Pandemie in den vergangenen Monaten weggefallen. Dass das Spuren hinterlässt, legen mittlerweile mehrere Studien nahe. Fast jedes dritte Kind im Alter zwischen sieben und 17 Jahren zeige inzwischen psychische Auffälligkeiten, berichten etwa die Autoren der Hamburger Copsy-Studie.
Während die einen neue Probleme entwickeln, gerät die Situation derjenigen, die es schon vorher schwer hatten, ein wenig in den Hintergrund. Wie steht es eigentlich um die Schüler mit Beeinträchtigungen? Kann Homeschooling für behinderte Kinder überhaupt funktionieren? Diese Fragen betreffen nicht nur Einzelfälle. Allein im Landkreis Osterholz gebe es 723 Schüler und Schülerinnen mit „Unterstützungsbedarf“, so Sprecherin Jana Lindemann. Der Bedarf kann dabei ganz unterschiedlich ausgeprägt sein und umfasst verschiedene Bereiche – zum Beispiel die körperliche, aber auch die geistige oder emotionale Entwicklung.
Begegnungen am Gartenzaun
Für 106 dieser Kinder und Jugendlichen ist Christiane Aping verantwortlich. Sie leitet die Schule am Klosterplatz in Osterholz-Scharmbeck, die einzige Förderschule im Landkreis. An ihrer Schule gebe es einige wenige Hochrisikopatienten, die seit März 2020 vollständig im Heimunterricht seien, so Aping. Der Rest sei irgendwann zurückgekommen, aber nicht dauerhaft. Dass die Corona-Pandemie beeinträchtigte Schüler vor eine besondere Herausforderung stellt, meint nicht nur Christiane Aping, auch einige Bundesländer berücksichtigen diese Gruppe mit besonderen Regeln. Die niedersächsische Corona-Verordnung (Stand 19. Februar) erlaubt Schulen mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung, Unterricht im Wechselmodell und in kleinen Lerngruppen abzuhalten.
Auch für die Schule am Klosterplatz gilt das. Allerdings habe sich ein Teil der Eltern dazu entschieden, ihre Kinder zu Hause zu lassen. Aktuell seien etwa 40 Prozent der Schülerschaft da, der Rest im Heimunterricht, so die Schulleiterin. „Manchmal ist das schwierig, weil die Beeinträchtigungen zu groß sind“, sagt Aping. Dass es zudem grundsätzlich an Förderschullehrern mangele, mache die Lage nicht einfacher. Wie genau die daheimgebliebenen Schüler unterrichtet werden, unterscheide sich von Fall zu Fall. Die Lehrkräfte müssten kreativ sein. Fast täglich fänden Videokonferenzen statt, manche Kollegen brächten Materialpakete nach Hause – ein Plausch am Gartenzaun inklusive.

Christiane Aping.
„Es ist einfach wichtig, dass man sich mal sieht“, sagt Aping. „Den Schülern fehlen die soziale Kontakte. Die treffen ja fast niemanden mehr.“ Lehrer und Schüler würden gleichermaßen Normalität herbeisehnen. „Einige Kinder haben geweint, als wir vor Weihnachten schließen mussten“, berichtet die Schulleiterin. Sie bestreitet nicht, dass es Probleme mit dem Heimunterricht gibt. Nicht immer sei die Ausstattung zu Hause vorhanden, um alle Möglichkeiten auszuschöpfen; nicht immer kämen die ausgeteilten Materialien zurück. Vieles hänge vom Elternhaus ab. „Wir haben Angst, dass der eine oder andere Schüler auf der Strecke bleibt. Es ist sogar ziemlich realistisch, dass es so kommen wird“, sagt Aping. Lernen könne auf lange Sicht nur in der Schule funktionieren, ist sie überzeugt.
Was für beeinträchtigte Kinder in Förderschulen ein Problem sein kann, gilt ebenso für diejenigen, die an allgemeinen Schulen untergebracht sind. „Im Landkreis Osterholz wird Inklusion gelebt“, teilt dieser mit. 617 Schüler würden aktuell inklusiv beschult, heißt es weiter. Zehn von ihnen besuchen die Beethovenschule in Osterholz-Scharmbeck. Für die Grundschulen gelten grundsätzlich die gleichen Regeln wie für die Förderschulen. Sprich: Die Kinder dürfen wochenweise die Schule besuchen. „Ich erlebe da keine großen Unterschiede zu den Schülern ohne Förderbedarf“, sagt Konrektorin Roswitha Dreisbach.
Die inklusiven Schüler seien ganz normal in die Wechselgruppen integriert. Das Hin und Her zwischen Schule und Heimunterricht sei etwas problematisch für Kinder, die eigentlich Normalität bräuchten. In der Schule gebe es eine Förderschullehrerin, die intensive Betreuung leiste. Wie gut der Heimunterricht funktioniere, lasse sich nicht allgemeingültig beurteilen. Dreisbachs Eindruck sei allerdings, dass die Schüler mit Förderbedarf zu Hause mindestens ebenso gut unterstützt würden wie die ohne.
Am Gymnasium Osterholz-Scharmbeck gelten wiederum andere Regeln als an den Förder- und Grundschulen. Fast alle Schüler müssen momentan zu Hause bleiben – theoretisch auch die inklusiv beschulten. Nur gebe es die aktuell gar nicht, erklärt Schulleiterin Karin Bunsas. Eine Kooperationsklasse der Schule am Klosterplatz sei hier untergebracht, für die aber die Regeln der Förderschule gelten. Zusätzlich unterrichte das Gymnasium noch einige autistische Schüler, die zwar nicht im engeren Sinne inklusiv beschult würden, aber dennoch besondere Bedürfnisse hätten. Diese Schüler kämen weiterhin in die Schule – nicht in den regulären Unterricht, sondern um dort mit ihrer Betreuungskraft zu arbeiten. „Wir stellen Arbeitsplätze bereit, an denen diese Schüler ihren Tag gestalten können“, sagt Bunsas. Dazu gehöre auch das technische Equipment, um an den Videokonferenzen teilzunehmen. Nach Eindruck der Schulleiterin funktioniere das gut. Sie sagt: „Ich höre zumindest keine Beschwerden, und das ist ja meistens ein ganz gutes Zeichen.“
Auch der Landkreis Osterholz habe in Sachen Inklusion keine Beschwerden von den Schulen bekommen, heißt es dort. Bislang sei kein Fall bekannt, in dem die vom Land Niedersachsen beschlossenen Regelungen nicht umgesetzt werden konnten, teilt eine Sprecherin mit.