Osterholz-Scharmbeck. Gerhard auf dem Brinke besitzt keinen PC. „Als ich noch im Dienst war, gab es die Dinger schon, aber auf meinem Schreibtisch hat nie einer gestanden.“ Der frühere Superintendent des Kirchenkreises Osterholz (1975 bis 1992) hat keine Verwendung für Tablet oder Notebook. Er braucht keinen digitalen Support, weil er über ein phänomenales Gedächtnis verfügt. Oder umgekehrt: Vielleicht hat er unter anderem auch deshalb ein austrainiertes Gedächtnis, weil er auf die Dienste des Computers verzichtet.
Als der Theologe im Gespräch über die Wohlfahrtspflege der evangelischen Kirche auf das Thema Suchtberatung kommt, fügt er beiläufig hinzu, dass für diese Aufgabe der erste Fachdienst des Diakonischen Werkes in seinem Kirchenkreis eingerichtet wurde. „Das war 1979. Die vorhandenen Mittel reichten nicht aus. Deshalb beschäftigten wir auf ABM-Basis eine Diplompädagogin, die sich zu unserer vollsten Zufriedenheit eingearbeitet hat. “
Der 1928 im Landkreis Lüchow-Dannenberg geborene Gerhard auf dem Brinke ließ sich 1975 in Osterholz-Scharmbeck nieder, als er dort das Amt des Superintendenten antrat, das des höchsten Repräsentanten des Kirchenkreises. „Können Sie sich vorstellen, nach Osterholz-Scharmbeck zu wechseln?“, hatte der zuständige Landessuperintendent den damals in Hildesheim predigenden Kirchenmann zuvor gefragt. Auf dem Brinke hatte keine Ahnung, wo er die Stadt verorten sollte. „Ich holte erst mal den Atlas hervor“, berichtet er, nicht ohne den Hinweis zu geben, dass er auch heute so verfahren müsste, um herauszufinden, wo sich ein ihm unbekannter Ort befindet. „Das beruht auf zwei Fehleinschätzungen meinerseits“, gesteht er mit einem Lächeln. „Erstens habe ich nicht damit gerechnet, so alt zu werden. Und zweitens habe ich nicht erwartet, dass die Digitalisierung so schnell und so umfassend voranschreitet.“
Gerhard auf dem Brinke ist ein wandelndes Geschichtslexikon. Vor allem die jüngere Vergangenheit Osterholz-Scharmbecks hat der langjährige Superintendent mit allen dazu gehörenden Zahlen auf dem Zettel. Zum Beispiel: Auflösung des Evangelischen Hospitals. „Das war 1993/94“. Er gehörte dem Vorstand des Kuratoriums an. Später übernahm er den Vorsitz im Aufsichtsrat der Diakonischen Behindertenhilfe.
Vorübergehend war er auch im Vorstand der Lebenshilfe. „Zu einer Zeit, als man keine Sonderkindergärten mehr wollte, wegen der negativen Konnotation, die aus der NS-Zeit herrührte.“ Also machte er sich für den Aufbau einer integrativen Kita im Kindergarten St. Marien stark. 1986 sei es die erste im nassen Dreieck zwischen Elbe und Weser gewesen. Auf dem Brinke findet übrigens den Begriff Inklusion „schrecklich“. Wörtlich genommen habe das ja mit „Einschließen“ zu tun.
„Eine weitere Geschichte, die uns damals sehr beschäftigt hat, war das Frauenhaus Schwanewede.“ Dessen Leitung habe sich geweigert, über die dorthin geflossenen öffentlichen Mittel Rechenschaft abzulegen. „Wohl aus ideologischen Gründen.“ Der Landkreis sei daher, 1984, an die Kirchenkreisleitung herangetreten, um die Zuständigkeit loszuwerden. „Das waren schwierige Verhandlungen. Wir haben es geschafft, DRK, Caritas und Awo mit ins Boot zu holen. Aber es hat leider nicht lange gehalten.“
Aus auf dem Brinke sprudeln Episoden dieser Art nur so heraus. Heitere wie traurige. Für den Entschluss zum Aufbau der Suchtberatung spielte der Tod eines jungen Menschen im Jahr 1976 eine nicht unwichtige Rolle. Der Superintendent, zu dessen Aufgabenbereich es auch gehört, Trauerfeiern zu gestalten, war tief erschüttert, als erfuhr, wie der gerade volljährig gewordene Mann sein Leben verloren hatte. Er hatte während einer Feier so viel Alkohol getrunken, dass er erstickte. "Ich fand, dass so etwas nicht sein darf." Bis dahin gab es im Kreis nur die ehrenamtlichen Einrichtungen, die Guttempler und die Anonymen Alkoholiker."
Gerhard auf dem Brinke wohnt nur einen Steinwurf entfernt vom Haus am Hang, an dessen Errichtung im Jahr 1987 er als Vorsitzender (1980 bis 2000) und Mitbegründer des Trägervereins maßgeblich beteiligt war. Die Initialzündung sei vom Altenkreis der St.-Willehadi-Gemeinde gekommen, von dem während einer Geburtstagseinladung der Wunsch nach einer Pflegeeinrichtung für alte Menschen geäußert worden sei.
„Das ist aber nur der eine Strang der Entwicklung.“ Der Diakonieverein „Seniorenzentrum Osterholz-Scharmbeck“ sei letztlich entstanden, weil eine Verständigung mit der SPD, die damals über eine komfortable Mehrheit im Stadtrat verfügte, erreicht worden sei. „Von denen beanspruchten einige das Sagen im Haus für sich und wollten den Einfluss der Kirche zurückdrängen, seitens der Kirche war es aber umgekehrt auch nicht viel anders. Als die Gründung vollzogen war, haben wir von der ersten Stunde an auf sachlicher Ebene gut und auf fast freundschaftliche Weise zusammengearbeitet.“
Auf Widerstand stieß die Kirche mit ihren Plänen nicht nur bei einigen Politikern, sondern auch bei privaten Pflegeheimen, mit der Begründung, dass eine weitere stationäre Einrichtung ihre Existenz wirtschaftlich bedrohen würde. Konnte auch an dieser Stelle erfolgreiche Überzeugungsarbeit geleistet werden, so drang der Vereinsvorsitzende mit seinen Vorstellungen unter anderem von der Größe der Einrichtung in Hannover nicht durch, das damals noch für die Altenpflege zuständig war.
„Die Vorstellungen des Landes Niedersachsen waren nach den Unterlagen über die demografische Entwicklung an der Wirklichkeit vorbei. Wir wollten 80 statt der angebotenen 60 Plätze, hatten dafür allerdings vergeblich argumentiert. Schon zu Weihnachten des Einweihungsjahres war das Haus voll belegt.“ Das Land habe halt sparen wollen, auch mit der Unterbringung in Zwei- und Dreibettzimmern, deren Vorzug angeblich darin bestanden hätte, dass die Bewohner sich auf diese Weise gegenseitig unterstützen könnten. Schon fünf Jahre später musste das Haus vergrößert werden. Auf 118 Plätze; die Zahl der Einzelzimmer wurde angehoben, die der Doppelzimmer verringert. In einer weiteren Etappe kamen mit Millionenaufwand zwei Anbauten hinzu.
Gerhard auf dem Brinke stammt aus einem christlich geprägten Elternhaus. Sein Vater starb früh, sodass der Sohn finanziell früh auf eigene Beine kommen musste. „Ich habe Kohle gemacht“, schmunzelt auf dem Brinke. Als Bergmann im Kohlebergbau. Die Zeit seiner Jugend aber war vom Nationalsozialismus geprägt. Er erinnert sich, wie er 1939 zum ersten Mal durch Göttingens Straßen ging. „Es hatte geregnet. Straßen und Häuser waren blitzsauber, nur zwei Stellen fielen aus diesem Rahmen. Bei einem Gebäude waren die Scheiben blind vor Dreck. Es war die ehemalige Judenschule.“ Und dann sei da noch der Rest der Synagoge gewesen - aufeinandergestapelte Holzbalken.
"Die Geschichte lässt einen nicht los", sagt der Zeitzeuge, der bei Kriegsende noch nicht einmal 18 war. Die schrecklichen Erlebnisse sind auch als Mahnungen zu verstehen, gerichtet an die folgenden Generationen." Auf dem Brinke hat unter dem NS-Regime "die nationalistische Überhöhung und Aufheizung miterlebt. Ich kann nur vor jedem Ansatz warnen, der in diese Richtung führt".
Seit 2003 gibt es die Woche der Diakonie, die wir in dieser Woche mit mehreren Beiträgen begleitet haben. Sie endet stets am zweiten September-Sonntag, der in Niedersachsen als Diakoniesonntag gilt. In St. Willehadi wird dazu um 10 Uhr ein besonderer Gottesdienst gefeiert. Info unter www.woche-der-diakonie.de sowie www.diakonisches-werk-ohz.de.
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Seit 2003 gibt es die Woche der Diakonie, die wir in der kommenden Woche mit mehreren Beiträgen begleiten werden. Sie endet stets mit dem zweiten Sonntag im September, der in Niedersachsen als Diakoniesonntag gilt. Näheres im Internet unter www.woche-der-diakonie.de und unter www.diakonisches-werk-ohz.de.