Landkreis Osterholz. Ein Meer aus Farben, viel Sonnenlicht und nährstoffreiche, humose Böden, in denen jede Pflanze gedeiht: Für viele Menschen ist das das Ideal eines Gartens. Auch Ruth Kruse war aus ihrer Kindheit in Afrika an sonnendurchflutete und in bunten Farben erstrahlende Gärten gewöhnt. Nur: Das Grundstück, auf das sie vor über 20 Jahren mit ihrem Mann zog, hat nichts mit dieser Idealvorstellung gemein. Zwischen die Sonne und ihren Garten schoben sich die bis zu 40 Meter hohen Pappeln des unteren Beeketals und verwandelten das Grundstück in ein Schattenreich. „Heute kann ich mir einen Garten, der nur in der Sonne liegt, gar nicht mehr vorstellen“, sagt die 79-Jährige. „Meine Liebe gehört meinem Schattengarten.“ Zwar wurden die Pappeln vor wenigen Jahren gefällt, doch wächst der Wald bereits wieder nach und taucht das Grundstück erneut in Zwielicht.

Mit Farnen belebt Ruth Kruse die Schattenbereiche ihres Gartens.
Liebe auf den ersten Blick war es aber nicht. „Ich habe viel, viel Geld für Pflanzen ausgegeben“, erzählt Ruth Kruse. Für Pflanzen, denen es auf dem Grundstück zu düster war und die deshalb nur ein kurzes Gastspiel gaben. „Ich fing zum Beispiel mit Lupinen an“, erzählt sie. Die eindrucksvollen, farbenprächtigen Blütenkerzen lassen die Herzen vieler Gartenbesitzer höher schlagen. Allerdings ist die Lupine eine Sonnenanbeterin. Und so kam’s, wie es kommen musste: „Nach einem Sommer waren sie aus meinem Garten spurlos verschwunden.“ Entmutigen lassen, habe sie sich davon nicht. „Ich habe immer wieder etwas Neues ausprobiert.“
Dem Probieren stellte sie das Studieren voran. „Als wir hierher zogen, gab es das Haus und das Grundstück bereits“, erinnert sich die Ritterhuderin. Ihre Schwiegermutter hatte einst in dem reetgedeckten Fachwerkhaus aus dem 17. Jahrhundert gelebt, das deutlich tiefer als die am Grundstück vorbeilaufende Straße liegt. Doch die nachfolgenden Bewohner hatten ihre eigene Vorstellung von der Pflege eines Gartens. Das Grundstück war also bewachsen. Aber gestaltet?

Statt auf bunte Vielfalt zu setzen, hat die Ritterhuderin gelernt, die Schönheit von Blattstrukturen ins rechte Licht zu rücken.
„Ich habe erstmal geguckt, was schon da war und damit gearbeitet“, erzählt Ruth Kruse. Unter anderem seien das alte Obstbäume gewesen. Einige Apfel-, Birnen- und Pflaumenbäume, die mit niedrigem, krummem Wuchs dem Schatten der riesigen Pappeln trotzten. „Die, die nur noch aus einem toten Stamm bestanden, habe ich entfernt“, sagt Ruth Kruse. Wenn auch nur ein Hauch von Leben in ihnen steckte, ließ sie sie stehen. Die, die im Laufe der Jahre von Stürmen oder vom Alter entwurzelt wurden, ersetzte sie durch neue Obstbäume. Sie freue sich über jede einzelne – der eher wenigen – Blüten, die im Frühling an ihnen aufgingen.
„Und ich habe mir Zeit gelassen“, erzählt Ruth Kruse. Zunächst habe sie das Grundstück auf sich wirken lassen. Sie habe geschaut, wo das Regenwasser hinfließt, wo es trocken, wo es feucht war. Und sie beobachtete, wie die Sonne im Laufe des Jahres über das Grundstück wanderte. Dabei merkte sie sich, wo diese für wenige Minuten oder gar ein bis zwei Stunden doch noch den Weg an den Baumkronen vorbei fand. „Ich freute mich riesig, wenn ich solche sonnigen Plätzchen entdeckte.“ Vor allem direkt am Haus gibt es sie, aber auch in einem etwas entfernteren Teil des Gartens lässt sich die Sonne stundenweise blicken. „Diese Stellen habe ich mir notiert, genau wie ich mir aufgeschrieben habe, wo ich mehr und wo ich weniger gießen muss.“

Gartenexpertin Ruth Kruse.
Als sie merkte, dass die ihr bekannten Pflanzen auf ihrem Grundstück nicht gedeihen wollten, vertiefte sie sich in die Gartenliteratur. „Ich habe Bücher gekauft und viel gelesen.“ Nach dem Fehlschlag mit den Lupinen versuchte sie eine neue Pflanzenart: Farne. „Die habe ich dann im ganzen Garten verteilt; vor allem im tiefen Schatten, dort, wo gar keine Sonne hinkommt.“ Ein Erfolg. Die Farne seien sofort angewachsen und wären groß und prächtig geworden. Noch wichtiger: Sie waren gekommen, um zu bleiben. Daraufhin habe sie sich gesagt, dass ihr Garten nicht aus bunten Blüten bestehen müsse. „Ich dachte, es wäre schön, Pflanzen zu haben, die attraktive Blätter besitzen und vielleicht im Winter noch grün sind.“ So wie einige der Farne, von denen sie bis heute fasziniert ist.
„Als nächstes habe ich es dann mit Hosta versucht“, erinnert sich Ruth Kruse. Im Handel gibt es heute über 4000 registrierte Funkien-Sorten. Nicht wenige haben den Weg in Kruses Garten gefunden. Mit dem Schatten dort haben sie kein Problem. Tatsächlich gibt es viele Funkien, die das direkte Sonnenlicht nicht vertragen. Sie sind somit ideal für Schattengärten. „Aber leider mögen Schnecken Hosta sehr gern, und von denen gibt es hier am Waldrand mehr als genug.“ Jahrelang habe sie gegen diese Plage angesammelt. Trotzdem musste sie jedes Frühjahr Funkien nachkaufen. „Und in dem nassen Sommer 2017 waren es einfach zu viele Schnecken“, erzählt die 79-Jährige. Ganz habe sie ihre Liebe zur Hosta aber noch nicht aufgegeben.

Im Schattengarten dominieren Frühlingsblumen wie die Christrose. Wenn sie blüht, sind die Bäume noch kahl.
Die Nähe zum Wald hat einen weiteren Plagegeist in ihren Garten geführt: die Wühlmaus. „Alles was ich pflanze, packe ich deshalb inzwischen in Kaninchendraht.“ Das Gitter sei so fein, dass die Mäuse nicht an die begehrten Wurzeln und Zwiebeln kämen. Gleichzeitig sei es aber noch groß genug, dass die Pflanzen hindurch wachsen könnten. Auf diese Weise schützt sie nicht nur die Wurzeln ihrer Obstbäume. Auch Rosen, die ihr Mann zur Pensionierung geschenkt bekam, habe sie so gepflanzt. Genau wie die Beeren-Sträucher, die sie an den wenigen, von ihr zuvor ermittelten Sonnenstellen pflanzte und deren wenigen Früchte bei ihren Enkelkindern extrem begehrt seien. „Als sie klein waren, haben die Kinder sich Wettrennen geliefert, um eine Beere zu ergattern.“
Die meisten Blüten, so wurde Ruth Kruse schnell klar, würde ihr Schattengarten aber im Frühling tragen. „Dann haben die Bäume noch keine Blätter, und das Sonnenlicht kann durch die Äste bis zum Erdboden dringen.“ Sie habe also Krokus-Zwiebeln gekauft und im Rasen vergraben. Märzenbecher, Traubenhyazinthen und Tulpen folgten. Die unter ihnen, die zur Leibspeise der Mäuse gehören, werden immer nur im Kaninchendraht gepflanzt. „Und aus dem Wald haben die Schneeglöckchen den Weg zu uns gefunden.“ Der hohle Lerchensporn, der ganze Laub- und Auenwälder im Vorfrühling in ein Meer aus Farbe und Duft verwandelt, gehört längst zu Ruth Kruses Favoriten. Genau wie eine gelbe Hunds-Zahnlilie, die mit ihren kleinen, zarten Blüten ihrem Frühlingsgarten etwas Märchenhaftes verleiht.
Auf ihrer Suche nach Pflanzen, die sich auch noch im späteren Frühling oder gar Frühsommer im Schatten der Bäume wohl fühlen, ist sie auf die Akelei und die Elfenblume gestoßen. „Die Elfenblume ist das ganze Jahr über wunderschön; ihre Blüten sind extrem klein, die muss man einfach ganz genau und in Ruhe betrachten.“
Ins Schwärmen gerät die Schattenliebhaberin auch, wenn sie vom Aronstab berichtet. Eine der ganz wenigen Pflanzen, die im späteren Jahr kräftig Farbe in ihren Garten bringt. Nach der eher unscheinbaren Blüte (April bis Juni) entwickelt die Pflanze zum Herbst hin an ihrem stabartigen Blütenstand kleine dunkelrote Beeren, die im Schatten geradezu leuchten. „Das ist so schön; und im Winter hat sie tolles, großes Laub“, sagt Ruth Kruse.
In über 20 Jahren hat sie sich so ihr schattiges Paradies geschaffen. „Einen Plan hatte ich mir dafür nie gemacht; ich habe alles auf mich zukommen lassen.“ Fertig sei der Garten nie, meint sie. Im Groben schon. Aber nicht die Feinheiten. Ihr Rat: „Man muss Geduld haben und viel ausprobieren; ich habe viele Pflanzen mehrmals umgesetzt, um zu gucken, wo sie am besten gedeihen.“ Dass ihr Garten nicht ganzjährig voller Blüten sei, bedauert sie nicht. „Ich liebe meinen Schattengarten, weil ich jede einzelne Pflanze, jede Blüte, jedes Blatt, ganz individuell wahrnehme."
Totholz als Helfer im Garten
Der Garten von Ruth Kruse ist nicht allein wegen seiner Schattenlage lange Jahre eine Herausforderung für die Ritterhuderin gewesen. Unter wenigen Zentimetern Mutterboden verbirgt sich eine dicke Schicht Bausand. Dieser feinkörnige, nährstoffarme Boden hält kein Wasser. Ruth Kruse hat daher an vielen Stellen mit Trockenheit zu kämpfen. Ihre Lösung: In ihren Beeten liegen Holzstücke und Steine. „Die halten die Feuchtigkeit; damit habe ich für die Pflanzen ein Waldklima geschaffen.“
Holz kann aber noch mehr. Zu Totholzhaufen gestapelte Äste, die zum Beispiel beim Obstbaum- oder Heckenschnitt anfallen, geben einem Garten vor allem im Winter Struktur. Darauf sollen schon die englischen Landschaftsgärtner geschworen haben. Auch Beete können mit Totholz eingefasst und ganze Benjeshecken daraus gebaut werden. Für eine solche Hecke werden mehrere Holzpfosten in zwei Reihen in den Boden gesetzt. Die Pfosten einer Reihe haben dabei einen Abstand von etwa einem Meter zu einander und stehen zu den Pfosten der parallel verlaufenden Reihe auf Lücke. Dazwischen wird das Totholz, Reisig und andere Gartenreste aufgeschichtet. Die Breite der Hecke sollte 20 Zentimeter oder mehr haben. Dabei steigt der ökologische Wert der Benjeshecke mit zunehmender Breite.
Ob Haufen oder Hecke: Dieses abgestorbene Holz ist für viele Bienen, Käfer, Spinnen sowie andere Insekten und Amphibien wie Erdkröten oder Blindschleichen ein Paradies. Es bietet ihnen nicht nur Lebensraum und Nahrung, sondern auch Brutmöglichkeiten. Vögel wie der Zaunkönig und das Rotkehlchen suchen in den Totholzhaufen nach Nahrung und nisten darin. Auch der Igel findet darunter ein warmes, trockenes Quartier.
Dem Gartenbesitzer kommen diese Untermieter gelegen: Viele von ihnen fressen Schädlinge. So stehen Nacktschnecken beispielsweise auf dem Speiseplan von Kröten, Blindschleichen und Igeln. Und der Zaunkönig nimmt sich der Blattläuse an.