Karlo Oroz’ Trainingsfleiß ist „ansteckend“, fast so wie das Coronavirus. Als er im Juli 2018 bei den Oberliga-Handballern der HSG Schwanewede/Neuenkirchen auftauchte, da staunten diese nicht schlecht, weil er sich schon vor dem Trainingsbeginn aufwärmte und dehnte. Er infizierte damit einen nach dem anderen. „Mittlerweile bereitet sich das Gros meiner Spieler bereits vor dem eigentlichen Training vor“, freut sich der HSG-Trainer Henning Schomann über den Oroz-Effekt.
Auch jetzt, wo der Sport ruht, legt sich der in Oldenburg wohnende Kroate nicht auf die faule Haut. Er geht jeden Tag mindestens eine Stunde laufen, alternativ sind bei ihm im nahe liegenden Wald Kraftübungen wie Liegestütze gefragt. Zu Hause stehen wiederum Burpees auf seinem Programm, freitags steigt er aufs Fahrrad. „Wer besser sein will als die anderen, der muss auch immer ein wenig mehr als sie tun“, lautet seine Devise. Und die zahlt sich aus, was seine 131/39 Tore aus 18 Spielen in der aktuellen Serie unterstreichen. Mit denen ist er der beste Werfer seiner Mannschaft, in der Liga-Statistik ist er Sechster.
Ab 19 Uhr herrscht Ruhe
Nur am Sonntagabend herrscht bei ihm ab 19 Uhr Ruhe, diese Zeit gehört alleine ihm und seiner Frau Martina. „Das hat bei uns mittlerweile Tradition“, verrät er. Nichts hat der Rechtshänder dann lieber als eine Pizza, ein Bier und einen Actionfilm oder einen Thriller. Hoch im Kurs steht zurzeit „The Dark Knight Rises“ aus der Batman-Reihe, bei der Wahl der Filme geht Karlo Oroz jedoch im Gegensatz zum Handball nicht voran. „Die entscheidet meine Frau“, lacht er.
Seine Entscheidung, im August 2015 nach Deutschland zu kommen, war für ihn aus heutiger Sicht eine gute, auch wenn er nicht wie erhofft in der Bundesliga spielt. „Ich habe einen anderen Weg genommen“, sagt der Schwarzschopf und ist mit dessen Ergebnis zufrieden. Was war die Aufregung bei Karlo Oroz damals groß, als ihm das Angebot eines deutschen Drittligisten ins Haus flatterte. Einer seiner kroatischen Mitspieler hatte den Sprung nach Deutschland geschafft, zwei Tage später bot dessen Spielerberater auch Oroz aus heiterem Himmel ein Team in Aurich an. Freudig schaute er mit seiner Familie sofort auf der Landkarte nach und bekam einen gehörigen Schreck. „Wir hatten auf den Stuttgart-Raum gehofft, das wäre nicht so weit von der Heimat weggewesen. Aber Aurich war ja am ganz anderen Ende Deutschlands“, blickt Oroz zurück.
Was sollte er nur tun? Er riskierte es: Da der Wirtschaftsstudent den Bachelor bereits in der Tasche hatte, brach er seine Masterarbeit ab und zog Hals über Kopf nach Ostfriesland. Blöderweise bekam er im ersten Jahr eine Wohnung in Wilhelmshaven gestellt, wodurch es keine Nähe zu den Auricher Mannschaftskameraden gab. Einsamer ging es kaum, zumal er ja auch kein Deutsch sprach. „Das war eine harte Zeit“, blickt der Bartträger zurück. Kontakt zur Familie gab es nur per Whatsapp, dreimal im Jahr ging es für ihn kurz zurück in die Heimat. Immerhin bekam der in Slavonski Brod im Osten Kroatiens Geborene eine Woche pro Jahr Bonusurlaub, „für die ich dem OHV Aurich sehr dankbar bin“.
Im ersten Sommer büffelte Karlo Oroz die deutsche Sprache zunächst alleine in der Wohnung, der laufende Fernseher half ihm dabei. Nach kurzer Zeit stellte er fest, dass es sich zu zweit besser lernt: also engagierte er sich zweimal die Woche für eineinhalb Stunden eine Sprachlehrerin, um schneller voranzukommen. Derweil verständigte er sich in den ersten vier Monaten mit seinen Mitspielern auf englisch, zu denen übrigens auch Torben Lemke zählte, sein jetziger spielender Co-Trainer in Schwanewede.
Selbst der Handballsport stellte für ihn eine Herausforderung dar. „In Kroatien ist mehr die Technik gefragt, in Deutschland mehr das Körperliche“, vergleicht er die Spielstile der beiden Nationen. Und erst die Trainingsintensität! Beim HC Nexe Našice, mit dem der ehemalige Junioren-Nationalspieler kroatischer Vizemeister geworden war, übte er zweimal täglich, dazu gab es die Woche zwei Punktspiele. „Ich war Profi und konnte davon leben, das hat mir richtig Spaß gemacht“, erinnert er sich. In Aurich ging es bestenfalls viermal wöchentlich in die Halle, „was mir viel zu wenig war“, erklärt er. Also legte er täglich ein zusätzliches Pensum ein, das er bis heute beibehalten hat.
Okay, zum Bundesliga-Handballer hat es der 1,81 Meter-Mann bekanntlich nicht geschafft, weil das entsprechende Angebot partout nicht kam. „Dafür habe er einen Beruf und spiele auf einem guten Niveau“, zählt Karlo Oroz den Vorzug des Alternativweges auf. Er ist System-Administrator und bildet sich zurzeit zum Software-Entwickler weiter. „Das passt gut zu meinem Studium, das auch Informatik beinhaltete“, meint er.
Seinen Wechsel zu den „Schwänen“ hat der Mann mit der Rückennummer 47 nicht bereut. „Die Halle ist oft fast voll und die Stimmung gut“, lobt er die Fans in der sogenannten Heidehölle. Und da Henning Schomann „eine qualitativ gute Arbeit macht und die Jungs fleißig sind“, hat Karlo Oroz bei der HSG Schwanewede/Neuenkirchen wieder für die Saison 2020/21 zugesagt. Bei der er übrigens von allen Mannschaftsämtern befreit ist. „Ich bin mit 30 Jahren ja auch der älteste Feldspieler“, witzelt der Torjäger.
Auf alle Fälle ist er jemand, auf dessen Erfahrung viele Spieler hören, auch wenn er im Team der stille Leistungsträger ist. Er ist nicht derjenige, der lauthals trommelnd auf sich aufmerksam macht. Trotzdem mag der Routinier den sportlichen Wettstreit; und dabei zu gewinnen ist für ihn die Krönung. Aber wehe, wenn er verliert! Dann begibt sich der sichere Siebenmeterschütze (Quote: 79,59 Prozent) schnurstracks in die Kabine und sucht seine Ruhe. Zum Glück kamen die Niederlagen beim Oberliga-Aufsteiger nicht so oft wie die Siege vor.
Nach dem normal üblichen Hallentraining ist für den HSG-Akteur Karlo Oroz übrigens nicht Schluss: Er schnappt sich einen Torwart und legt zusammen mit dem Rechtsaußen Tim Paltinat noch eine Sonderschicht ein. „20 bis 30 Extrawürfe müssen schon sein“, sagt er – in Zeiten wie diesen vermisst Karlo Oroz seinen Lieblingssport schon sehr.
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