Worpswede. Noch ist das Geländer improvisiert und statt einer Treppe führt eine Haushaltsleiter ins Obergeschoss des alten Bauernhauses in Neu Sankt Jürgen. Die Vision einer eigenen Galerie nimmt für Bettina Dämmig aber Stück für Stück Gestalt an. Bis sie ihr Haus fürs Publikum öffnen kann, fehlen noch ein paar Bauschritte. Als Atelier aber nutzt sie den ausgebauten Dachboden schon jetzt, auch wenn dort, wo später einmal ein großes Fenster das Licht hineinlassen soll, der Blick noch auf altes Gebälk zwischen Reet und Stroh fällt.
Bettina Dämmig ist noch relativ neu in Worpswede, 2018 zog sie aus Flensburg ins Künstlerdorf – ein großer Schritt für die 54-Jährige. Freunde rieten ihr ab, sie könne doch nicht ihr schönes Haus verkaufen. Für sie war es dort nur äußerlich „totchic“, das Herzblut aber habe gefehlt. Die Familie war dennoch entsetzt, dass sie sich den alten Hof mit seinen fast 6000 Quadratmetern Land ans Bein binden wollte. Sie aber war überzeugt: „Genau dorthin gehöre ich!“. Das ist sie jetzt noch mehr, und wenn sie mit ihrer klaren, holsteinisch geprägten Stimme sagt, „Ich war noch nie so glücklich!“, dann hat das viel Überzeugungskraft. Das Malen sei es, was sie glücklich mache, und der Ort, den sie dafür gefunden habe. Und auch an den Mythen von dem berühmten Licht sei schon viel Wahres dran. Selbst in Skagen, der Künstlerkolonie im äußersten Norden Dänemarks, sei es nicht so besonders wie im Teufelsmoor.
Sie ist keine Berufskünstlerin, eher eine Lebenskünstlerin, der man mit der Beschreibung „ambitionierte Hobbymalerin“ nicht wirklich gerecht wird. In ihren anderen Leben ist sie Krankenschwester auf Intensivstationen. Sie arbeitet als Springerin, lässt sich immer wieder von unterschiedlichen Krankenhäusern für zeitlich begrenzte Einsätze engagieren, wenn es dort personell noch enger ist als sowieso schon in der Branche. So arbeitet sie schon seit vielen Jahren, war auch lange Jahre in Dänemark und Norwegen im Einsatz, wo sie ein völlig anderes Gesundheitssystem kennen und schätzen lernte. Sie ist sozusagen Quartalsarbeiterin: Heftige Phasen mit Nachtdiensten und Sterbebegleitungen wechseln ab mit Zeit für die Kunst. Das eine finanziert das andere, jetzt müssen erst wieder ein paar Schichten mehr erledigt werden, dann ist irgendwann auch das Geld für die Treppe und das Fenster da.
Dass sie überhaupt wieder ihre Leidenschaft für die Acrylmalerei entdeckte, hatte mit dem Berufsleben zu tun. Als Jugendliche malte sie schon, dann aber ließ sie Farbe und Pinsel für Jahrzehnte außer acht. Erst als sie 2015, ausgebrannt von ihrem Job, eine Therapie begann, stellte sich die Frage, was sie denn gerne tun wolle. Damals fiel es ihr wieder ein und ab dann habe sie wieder gemalt „wie wild“, sagt sie. Für sie ist das mehr als ein willentlicher Akt, sie wisse nie, was passiert, wenn sie vor einer – meist selbst gebauten – Leinwand stehe und anfange. Oft kommen abstrakte Flächen und Strukturen dabei heraus. Andere sehen darin auch schon mal Figuren, wo nach Ansicht der Malerin gar keine sind. Sie lässt dem Betrachter seine Assoziationen.
In anderen Bildern wird sie konkret, beispielsweise in einem drei mal einem Meter großem Gemälde mit Fischen, der im Büro der Worpsweder Grundschule als Dauerleihgabe hängt. Die meisten Bilder haben große Formate, heraus fallen nur zwei Miniaturen im Atelier. „Die habe ich wegen des Finanzamts gemacht“, sagt Bettina Dämmig und muss ein wenig grinsen. Dort habe man ihr gesagt, Bilder in dieser Größe seien besser zu verkaufen. Das habe sie zwar nicht überzeugt, aber sie wollte sich nicht nachsagen lassen, unkooperativ zu sein. Zumal sie dem amtlichen Argument „Blumen gehen immer“ nicht folgen mochte. Überhaupt sei es kompliziert, ihre Kunst als Nebengewerbe auch steuerlich korrekt anzumelden, berichtet sie. Und der geplante Galeriebetrieb bringe Auflagen mit sich wie Fluchtwege, Toiletten oder Parkplätze, die sie noch abarbeiten müsse.
Das Glücklichsein aber lässt sich Dämmig weder von der Bürokratie noch von dem für sie eher enttäuschenden Ankommen im Künstlerdorf nehmen. Sie hatte gehofft, es wäre in Worpswede einfacher an der vorhandenen Künstlerszene anzudocken und sich zu präsentieren. Verbittert ist die Malerin, die ihre Werke als „Acrylykke“ – Lykke ist das dänische Wort für Glück – bezeichnet, nicht. „Dann mache ich eben mein eigenes Ding“, sagte sie sich und fing an.
Eine künstlerische Ausbildung hat Dämmig nie durchlaufen, sie blieb Autodidaktin. Aber sie sei sich ihres Weges sicher und eigentlich hätte sie auch schon viel eher darauf kommen können, überlegt sie. Immer wenn sie in die Region um Worpswede gekommen sei, habe sie eine deutliche Anziehungskraft gespürt. Und das alte Bauernhaus, das sie gefunden und umgebaut hat, habe sie schon als Jugendliche zuvor auf ersten Bildern gemalt, fast identisch. Ob die Jahrzehnte dazwischen vertane Zeit waren? Findet sie nicht, vielleicht hat es einfach den langen Anlauf zum Glück gebraucht.
Anlaufstellen für Künstler
Künstler, die neu nach Worpswede kommen, könne sich an die Kulturbeauftragte der Gemeinde wenden. Klaudia Krohn ist unter 04792/ 987 89 19 oder krohn@worpswede-touristik.de erreichbar und gibt Tipps. Sie ist auch verantwortlich für die Offenen Ateliers und Ausstellungen in der Galerie Altes Rathaus. Am ersten Montag im Monat gibt es ein offenes Worpsweder Künstlertreffen, immer ab 20 Uhr im Restaurant Zum Hemberg, Hembergstraße 28. Interesseirte könnenn ohne Anmeldung teilnehmen. Der Berufsverband Bildender Künstler (BBK) ist unter der Telefonnummer 04202/ 48 92 oder per Mail an mail@bbk-worpswede.de zu erreichen. Ansprechpartnerin ist Ingrid Steckelberg.