Worpswede. Glas splittert, von oben rieselt Reet, aber immer wieder fallen auch dicke Eisendrähte zu Boden. Auf dieser Baustelle ist Vor- und Umsicht gefordert. Und das gilt nicht nur fürs Handwerkliche, sondern auch für den Umgang mit dem Vorhaben an sich. Heiko Pankoke, Vorsteher in der Worpsweder Ortschaft Neu Sankt Jürgen, hat das in den vergangenen Monaten hautnah erfahren. Denn es ist kein Neubau, den er mit einigen Ehrenamtlichen vom Heimatverein zu erledigen hat, es ist ein Abriss. Und der ist mit Erinnerungen und Emotionen verbunden, die weit zurückreichen, die aber in der Debatte alle wieder frisch hochkochten.
„Schreiben Sie bloß nicht, dass wir eine Gedenkstätte abreißen“, sagt Pankoke zum Berichterstatter. Es sei nur die äußere Hülle, die nun falle, einen Raum zum Gedenken an die Opfer der beiden Weltkriege hat man in Neu Sankt Jürgen schon lange woanders gefunden. Würdevoller und zukunftssicherer als in dem alten, halb verfallenen Gebäude an der Dorfstraße, dem nun der Abrissbagger zu Leibe rückt. Die Gedenktafeln mit den Namen der Gefallen und Vermissten, deren Nachfahren häufig heute noch im Dorf leben, sind schon seit vielen Jahren in der benachbarten Heimatstube untergebracht.
Es war eine schwierige Entscheidung, was mit dem kleinen Fachwerkhäuschen passieren sollte, in dem über Jahrzehnte die Gedenktafeln hingen. Einig waren sich alle Beteiligten, dass es so nicht weitergehen konnte. Das Haus verfiel zusehends, die meisten Scheiben waren eingeworfen, drinnen lag Müll herum. Es war nicht nur ein Schandfleck, es wurde auch mehr und mehr zu einem Sicherheitsrisiko, sollte sich doch noch einmal ein Besucher dorthin verirren. Das Besondere an der Konstellation: Das Gebäude stand auf Privatgrund, haftbar bei Unfällen wäre Eigentümer Stephan Ohlrogge gewesen, der das Land von seinen Eltern geerbt hat. Zuständig aber war und ist der Heimatverein, dem Ohlrogges Familie das Grundstück kostenfrei zur Verfügung gestellt hatte. Es gab Stimmen, die für eine Sanierung plädierten, andere meinten, ein Abriss wäre sinnvoll. Letztlich fand der Rückbau die Mehrheit: Bei einer Bürgerversammlung lautete das Votum 17:1.
Behutsamer Abriss nach 67 Jahren
1952 hatten die Neu Sankt Jürgener die Gedenkstätte errichtet – finanziert aus Spenden und in Eigenleistung der Dorfgemeinschaft. Nun war es erneut eine Handvoll Bürger, die anpackten. Die Gemeinde Worpswede trug die Entsorgungskosten, der Rest war vor Ort zu leisten. Zunächst galt es, das Reet vom Dach zu holen. Es musste ebenso getrennt entsorgt werden wie Steine, Glas und Holz. Die noch intakten dicken Fachwerkständer wurden vorsichtig herausgelöst und für eine mögliche spätere Verwendung beiseitegelegt. Auch der Türbalken mit der Inschrift „Sie starben für uns“ blieb erhalten.
Das Ende der Arbeiten sei kein Grund zum Feiern, so Pankoke, das wäre unangemessen. Aber erleichtert, dass man dieses schwierige Thema endlich abgeschlossen habe, das werde man allemal sein, versichert Ohlrogge. Er will das Grundstück mit einigen Buchen bepflanzen. Und an der Stelle des kleinen Hauses soll ein großer Findling ruhen. Er bekommt nicht nur eine Inschrift, die auf die frühere Bedeutung des Orts verweist und erklärt, wo man jetzt die Gedenktafeln findet, sondern auch ein Bild des alten Gebäudes.
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