Worpswede. Lange Zeit lang war Uwe Häßler von der Bildfläche verschwunden. Gearbeitet hat der Worpsweder Maler trotz gesundheitlicher Probleme in dieser Zeit dennoch, sämtliche Ausstellungsanfragen aber hat er in den vergangenen Jahren kategorisch abgelehnt. Das, was in seinem Atelier entstanden ist, hat die Außenwelt noch nicht gesehen. Darunter befinden sich viele Skulpturen – ein für ihn unerwartetes und neues Genre. Was er aber jetzt in der neu gegründeten Galerie „Schweinis Art“ in der Alten Molkerei zeigt, ist eine Auswahl an Gemälden, die seit 2017 entstanden sind.
Die Arbeiten sind nur deshalb der Öffentlichkeit zugänglich, weil ihm der Neu-Galerist Jens Reinecke als langjährlicher Wegbegleiter zu dieser Ausstellung überreden konnte. Schon an ihrer früheren Wirkungsstätte im damaligen Hotel Eichenhof gaben Reinecke und Deborah Lippold zeitgenössischen Worpswedern wie Uwe Häßler ein Forum; das setzt der Wirt nun in der Alten Molkerei, wo er eine Kneipe betreibt, fort.
Häßler gehört zusammen mit Künstlern wie Friedrich Meckseper oder Pit Morell zu den bedeutendsten Malern einer sogenannten dritten Worpsweder Generation. Er selber will davon wenig wissen; er schätzt den Ort, in dem er seit über sechs Jahrzehnten lebt, als sein Zuhause. Da kann er in Ruhe arbeiten, da sind die Freunde, auch wenn von ihnen schon viele gestorben sind. Die Tradition Worpswedes, Landschaften gar, sucht man in seinen neuen Bildern vergeblich. Er hat sich ganz dem Menschen zugewandt, meist nur den Köpfen, manchmal Fragmenten von Torsi. Es ist sein Versuch, eine andere Wirklichkeit zu erschaffen, ohne die Realität zu verlassen.
Einen stets wiederkehrenden blauen Streifen, nicht immer horizontal, kann man als die letzte Reminiszenz an die berühmten Worpsweder Himmel verstehen. Häßler selbst ist für viele Deutungen offen, erklärt er eines seiner Bilder, dann meist im Konjunktiv: Es könnte so sein, dass die Oberfläche eines Kopfes zur Reflexion des Betrachteten wird, dass sich Strukturen eines Bilds, auf das der Porträtierte blickt, auf seiner Gesichtshaut fortsetzen. Versteht der Betrachter es umgekehrt und denkt, dass sich in dem Bild die Hirnwindungen aus dem Inneren des Kopfes widerspiegeln, dann hat der Maler nichts dagegen.
Der Mythos ist unwichtig
„Kunst braucht keinen Inhalt, es geht allein um den malerischen Prozess“, sagt Uwe Häßler. Ihn interessiere nicht die Person hinter einem Werk, auch nicht die eigene, betont der 82-Jährige. Dabei ist gerade seine eigene Lebensgeschichte, die wie so viele Worpsweder Lebensläufe bislang nicht festgehalten ist, reich an spannenden Kapiteln. Uwe Häßler kommt 1938 im thüringischen Altenburg zur Welt, der früh verstorbene Vater ist der Chef der weltberühmten Spielkartenfabrik. Kindheitserinnerungen von Krieg und Flucht und familiären Tragödien leben im Gespräch mit dem Künstler wieder auf. Schon als Jugendlicher malt, zeichnet und modelliert er, aber „das hat wohl niemand so richtig bemerkt.“ Die Familie zieht mehrfach um, er wechselt die Schulen und lernt tatsächlich das Malerhandwerk – „Anstreicher“, wie er selber sagt.
Danach studiert er doch noch Kunst, muss das Studium aber nach dem Tod des Vaters abbrechen, weil das Geld nicht reicht. Er zieht nach Bremen, 1957 kommt er zum ersten Mal nach Worpswede und landet bei Martha Vogeler im Haus im Schluh. Ihr zeigt er seine Mappe, und sie nimmt ihn auf „wie einen Sohn“, erinnert er sich. Er bekommt ein Atelier und wird verpflegt, dafür hilft er in der Küche oder bei Malerarbeiten. „Es war nicht der Mythos Worpswede, der mich anzog“, macht Häßler deutlich. „Es war einfach ein Platz, wo man mit wenig Geld überleben konnte.“ Wie viele bekannte Kollegen ließ auch er bei Netzel anschreiben, wenn er die nötigen Malutensilien nicht bar bezahlen konnte.
Es ist sein Start ins Künstlerleben, zu einem Zeitpunkt, als er noch kein einziges Ölgemälde gemalt hat. Das soll bald aber folgen, und in Lotte Cetto und Klaus Pinkus und ihrer legendären Galerie Die Insel findet er um 1961 erste Abnehmer für seine Kunst. Fast ungläubig reagiert er auf Pinkus' Kaufangebote, unsicher, was er verlangen solle für seine Zeichnungen. „Es war ein langer Weg, bis man hier anerkannt war“, bilanziert er. Schließlich aber zählt er zu den wichtigsten Worpsweder Zeitgenossen. Seine Bilder werden bei Auktionen zu fünfstelligen Preisen verkauft, finanzstarke Sammler sichern mit regelmäßigen Ankäufen das Auskommen, renommierte Häuser zeigen seine Werke.
Von „Phasen“ will Uwe Häßler nicht sprechen, aber mehrfach ändert er seine Stilistik radikal. Er sagt heute von sich, er suche nicht mehr, die Bildideen finden sich von selbst. Wichtig ist ihm dabei, eine völlig eigene Raumauffassung umsetzen zu können. Inzwischen könne er sich von seinen Bildern so weit lösen, als hätte er sie gar nicht selbst gemalt. Ob es eine höhere Macht gibt, die man Inspiration und auch anders nennen kann? „Da habe ich auch schon drüber nachgedacht – ich bin zu keinem Ergebnis gekommen.“ Die Freude an einem ungestümen Malrausch sei noch immer da, das hat für ihn Bedeutung.
Den kreativen Prozess beschreibt Uwe Häßler als ein „langsames Dahinfinden“ – das Bild sage ihm, wann es fertig ist. Die Ausstellung in der Alten Molkerei aber sagt dem Besucher, dass der Künstler Uwe Häßler noch lange nicht fertig ist.
Eröffnung am Sonnabend
„Schweinis Art“ hat Jens Reinecke seine neue Galerie in der Alten Molkerei an der Osterweder Straße 21 in Worpswede genannt. Neben der Galerie Unknown ist es der zweite neue Ausstellungsraum in dem Kulturzentrum. Mit der Vernissage zur Ausstellung „Neue Werke“ von Uwe Häßler öffnet sie an diesem Sonnabend, 10. Oktober, um 17 Uhr erstmalig ihre Türen. Bürgermeister Stefan Schwenke spricht zur Ausstellungseröffnung, es soll Federweißer und Zwiebelkuchen geben. Die Galerie ist dann täglich von 11 bis 18 Uhr geöffnet, der Eintritt ist frei. Die Arbeiten Uwe Häßlers werden bis zum Ende des Jahres gezeigt.