Worpswede. Die große Leere nach dem Abitur: Frei von den Fesseln der Schule stehen alle Wege offen, aber wohin sie führen sollen, wissen die Wenigsten in diesem Alter. Das Thema ist der klassische Stoff für einen sogenannten Coming-Of-Age-Roman, wie ihn die Literaturgeschichte von „Der Fänger im Roggen“ bis zu „Tschick“ zahlreich kennt. Dieses Genre hat sich nun auch der Neu-Worpsweder Winfried Picard für seinen zweiten Roman „Blaubeersommer“ gewählt.
Der Name Picard steht für verschiedene literarische Werke: Ehefrau Christa Malitz-Picard schreibt Krimis und historische Romane, Tochter Marieke Fantasy-Geschichten für Jugendliche. Ihr Vater ist vor allem für seine zwei Bücher zur Selbstversorgung bekannt, hat aber auch Sachbücher zu Psychotherapie und Schamanismus veröffentlicht. Sein erster Roman „Reisingers Träume“ ist relativ direkt seiner früheren Berufspraxis als Therapeut entsprungen. Heute sagt Picard, er könne verstehen, dass das Werk kein großer Erfolg wurde: „Zu kompliziert und zu dick!“
Für seine zweite fiktive Erzählung hat er nun eine straffere Form gewählt und den Fokus der Einflüsse erweitert. Warum schreibt ein 73-Jähriger eine Geschichte von einem 18-Jährigen auf? Die Antwort des Autors ist einleuchtend: „Die jungen Leute sind meine Hoffnung, Sie müssen sich aufmachen, wenn sie noch gut leben wollen. Von meiner eigenen Generation bin ich da zutiefst enttäuscht!“ Aus seinem Berufs- und Familienleben habe er immer wieder den Kontakt zur Jugend, das sei ein Ausgangspunkt gewesen. Der andere hat, wie der Titel „Blaubeersommer“ schon vermuten lässt, mit seiner Faszination fürs Gärtnern zu tun.
Holger, die Hauptfigur, verbringt den Sommer nach der Schule auf einer Blaubeerplantage, inmitten von Saisonarbeitern aus Polen und Rumänien und ihren Konflikten. Ein ungewöhnlicher Weg für einen deutschen Abiturienten, der sich mit verschiedenen eigenen Problemen auseinandersetzen muss. Da sind die Familie und der tote Bruder im Hintergrund, der unklare berufliche Weg vor ihm, und auch das Liebesleben kommt durcheinander. Während die Personen frei erfunden sind, gibt es die erzählten Orte und vor allem die Plantage im Teufelsmoor auch im wahren Leben. Der Autor hat dort recherchiert und plant auch eine Lesung vor Ort.
Tatsächlich waren die Blaubeeren die erste Inspiration für Winfried Picard: „Wenn man viele davon hat, kommt man beim Sammeln in so eine meditative Stimmung. Ich habe immer gedacht, wenn ich eine fallen lasse, vielleicht ist das eine ganz besondere, die etwas weiß, was ich auch wissen müsste. Das wäre dann für immer verloren.“ So hat er in seinem Garten in Otterstein mitten im heißen Sommer sozusagen Beere für Beere die Geschichte entwickelt – und aufgepasst, dass nichts abhanden kommt. Im Winter vor eineinhalb Jahren, als ihm dann wieder Zeit zum Schreiben blieb, hat er sie ins Laptop getippt. Und noch etwas hat ihn dabei interessiert: „Ich erlebe draußen den Klimawandel hautnah und habe mich immer gefragt, wann steht die Jugend auf und rebelliert dagegen, dass wir ,alten Säcke' ihr ihre Zukunft nehmen?“ Das war noch vor der Fridays-For-Future-Bewegung – ein junger Trieb, der sprießt wie eine Blaubeere und ihm mittlerweile wieder Hoffnung macht.
„Blaubeersommer“ ist bei der Edition Falkenberg erschienen, ISBN 978-3-95494-207-7, hat 204 Seiten und kostet 12,90 Euro.
Neuauflage von „Unfreiwillige Wege“
Auf einen neuen Roman von Christa Malitz-Picard müssen die Leser noch etwas warten, er sei aber in Arbeit, verrät die Autorin. Sie hat unterdessen ihre historische Erzählung „Unfreiwillige Wege“ überarbeitet und wiederveröffentlicht. Darin geht es um die Familie Trinker, die gemeinsam mit 20 000 anderen Menschen um 1730 wegen ihres protestantischen Glaubens aus dem Salzburger Land nach Ostpreußen vertrieben wird. Picard hat diese Geschichte bis nach 1945 recherchiert und mit fiktiven Elementen zu einem Roman verdichtet. Der erschien zunächst 2011 und war zuletzt vergriffen. Nun legt ihn die Edition Falkenberg neu auf: ISBN 978-3-95494-206-0, 235 Seiten, 14,90 Euro.
Weitere Informationen
„Blaubeersommer“ von Winfried Picard ist bei der Edition Falkenberg erschienen, ISBN 978-3-95494-207-7, hat 204 Seiten und kostet 12,90 Euro.