Über die Gefahren des Internets für Jugendliche und Kinder hat der Sozialpädagoge Moritz Becker mit viel Humor und Witz im Hamme Forum sein Publikum aufgeklärt.
Ritterhude. "Ich habe von meinen Eltern nichts über die Nutzung des Internets gelernt", erzählte Moritz Becker. "Wir sind die erste Erwachsenengeneration, die ihren Kindern etwas darüber beibringen könnte. Meistens sind wir damit jedoch überfordert." Bei diesem Problem will Becker Eltern Hilfestellung leisten. Im Hamme Forum sprach er über das Thema "Gefahren im Internet". Dabei öffnete der Sozialpädagoge vom Verein Smiley e.V aus Hannover mit anschaulichen Beispielen seinem erwachsenen Publikum die Augen für die Rolle, die das Internet im Leben und bei der Erziehung der heutigen Kinder und Jugendlichen spielt.
Eine gute Erziehung komme aus dem Bauch heraus. "Vieles, was wir aus dem Bauch heraus machen, haben wir als Kinder selbst erfahren", sagte Becker. Dabei ging es früher ums Fernsehen oder Telefonieren, heute eher ums Chatten. Ärger mit der Mediennutzung habe es also schon immer gegeben. Das gehöre zum Generationenkonflikt – junge Menschen wollten bewusst etwas anderes machen als ihre Eltern. Diese Rebellion werde in unserer Gesellschaft immer schwerer. "Ich habe ein Experiment an einem Gymnasium gemacht. Dazu habe ich alle Heavy Metal T-Shirts gezählt, die an der Schule getragen wurden. Ich kam auf vier – in jedem steckte ein Lehrer. Was können die jungen Leute also noch machen, um zu provozieren?" Die Antwort: "Vielleicht muss ein Jugendlicher exzessiv Computer spielen, damit die Erwachsenen sich aufregen." So ein Verhalten werde dann pathologisiert, weil die Erwachsenen es nicht verstünden.
Ähnlich sei es beim Thema Facebook. "Was Erwachsene an dieser Plattform erschreckt, finden Kinder toll, weil sie eine andere Mentalität haben", so der Sozialpädagoge.
Die Begeisterung, die diese und ähnliche Internetseiten bei jungen Leuten auslösen, erklärte Moritz Becker an der Puppe Max. Dieser sei unbekümmert, neugierig und auf der Suche nach Aufmerksamkeit, Anerkennung, Identität und Freiheit. "Die Pubertät ist eine Art Rollenspiel", so Becker weiter. "Es wird ganz viel ausprobiert und geguckt – was passiert jetzt? Und wir Erwachsenen geben die entsprechende Rückmeldung." Dabei sei Orientierung geben mehr als meckern und Grenzen setzen – Lob und Anerkennung spielen eine sehr viel wichtigere Rolle.
"Die Menschen sind motiviert, wenn man sie belohnt", erklärte der Pädagoge. "Computerspiele machen das – da gibt es 1000 Punkte, wenn ein Level abgeschlossen ist. In der Schule schreiben wir ‚ausreichend‘ unter einen Aufsatz. Was macht also mehr Spaß?"
Man könne sich auf Facebook anders ausprobieren als im richtigen Leben. "Das Ganze bleibt allerdings nicht virtuell", warnte der Experte. "Mit einem peinlichen Foto im Internet blamiert man sich auch im realen Leben." Dies sollte auf keinen Fall verharmlost werden. "Facebook und Computerspiele arbeiten also mit positiver Verstärkung", erklärte Becker. "Auch wir sollten uns mehr auf eine solche positive Verstärkung konzentrieren, anstatt auf Mängel hinzuweisen."
Bei der Erziehung falle es vielen Eltern schwer, ihren Kindern Freiheit zuzugestehen. Wichtig sei, dass den Kindern auch einmal etwas passiere. "Wir sollten nicht alle Tischkanten polstern oder Schneeballschlachten verbieten", so Becker. "Kinder müssen lernen mit Risiken umzugehen. So lernen sie eher den Umgang mit dem Internet." Man müsse den Kindern Abenteuer zugestehen. Sei dies nicht der Fall, suchen sie es woanders – zum Beispiel im Internet.
"Ich würde jedem von Facebook abraten, der nicht in der Lage ist, seine Privatsphäre zu schützen", betonte der Experte. Das Bedürfnis nach Privatsphäre müsse einfach da sein: "Weil man das will!" Dabei blickten Schüler nicht so weit in die Zukunft, wie ihre Eltern. "Die Frage ist: Was ist jetzt schlimm?", so Becker. "Nicht das Bewerbungsgespräch in zehn Jahren." Jetzt seien dies Eltern und Lehrer, die die Facebook Seite einsehen könnten. Die Kunst bei Facebook sei es, so viel wie nötig und so wenig wie möglich anzugeben, damit das Prinzip funktioniere. Da stelle sich die Frage: "Wer sind diese Facebookfreunde und was wollen wir von denen?"
Zum Thema Beleidigungen im Internet erklärte Moritz Becker: "Menschen werten sich auf, indem sie andere abwerten. Wenn das dem eigenen Kind passiert, sollte man versuchen, es wieder aufzu-bauen, indem man verdeutlicht: Die meisten Leute, die dich im Internet beleidigen kennst du gar nicht. Diese Leute haben das Gefühl, nicht wahrgenommen zu werden und nutzen die Beleidigungen als einen Beweis für ihre eigene Existenz: Ich habe bewirkt, dass es Jemandem schlecht geht." Dabei seien die Beleidigungen meist nicht gegen eine bestimmte Person gerichtet. "Meist ist derjenige zur falschen Zeit am falschen Ort." Gäbe es derartige Vorfälle innerhalb einer Schulklasse, lindere eine Ent-schuldigung den Schmerz meist. "Die Ursachen für Mobbing im Internet liegen häufig an der Klassengemeinschaft", erklärte Becker. "Also müssen die Lösungen in der Schule gesucht werden."
Bekämen Kinder genügend Aufmerk-samkeit, sei die Gefahr nicht so groß. "Wenn es uns gelingt, dass unsere Kinder uns mitnehmen, ist das ein Geschenk." Dabei sollten Eltern ihren Kindern Werte, Orientierung und Menschlichkeit vermitteln. "Dafür braucht man vom Internet keine Ahnung zu haben", so Becker.
Jugend-Rebellion in Zeiten des Internets
Moritz Becker vom Verein Smiley erklärt Erwachsenen, was Jugendliche an Facebook und Co. fasziniert
Zitat:
"Die Menschen sind
motiviert, wenn man sie
belohnt."
Moritz Becker, Sozialpädagoge