Die Wildschweine sind los. Vor dem Worpsweder Rathaus ließen sie am Wochenende zahm und still ließen all die Besucher an sich vorüberziehen, die in das Bauernhaus strebten. Weil es hinter der Dielentür wieder viel zu entdecken gab. Seit fast 30 Jahren lockt Ende November im Rathaus bis unters Dach feines Kunsthandwerk. Die Wildschweine gehörten dazu. Sie und weitere Tiere sind ein Werk des Metallbaumeisters Thomas Stachula.
„Wir stellen hier Einzelstücke nach eigenen Entwürfen aus“, betont Regina Blome-Weichert, die wieder zusammen mit Ingrid Ripke-Bolinius die Organisation übernommen hatte. Jedes Jahr halten sie Ausschau nach Ausstellern, die in den Rahmen passen. Soll heißen: bei denen Kunst und Handwerk eine professionelle Einheit bilden. „Das Niveau des Worpsweder Kunsthandwerkermarktes ist hoch“, sagt Regina Blome-Weichert. Die beiden Frauen gehören zu den zehn Worpsweder Kunsthandwerkern, die mit ausstellen und entscheiden, wer dabei sein kann. Einige Aussteller sind dafür quer durch die Republik gereist.
Zum Beispiel Regine und Christhard Richter aus dem Vogtland. Sie sind mit Holz-Design ins Künstlerdorf gekommen. Schmuck und Schalen aus heimischen Hölzern, wenige auch aus Edelhölzern. „Holz gibt den Menschen Geschichte in die Hand“, sagt Christhard Richter und greift nach einer tiefschwarzen Schale aus zweitausend Jahre alter Mooreiche. Sie ist ein Hingucker. Neben den kleinen Kreiseln, vor denen viele Besucher stehen bleiben, um ihr Fingergeschick zu testen. Die Vogtländer sind nicht die einzigen Aussteller, die die Atmosphäre in dem historischen Rathaus schätzen.

Maria Albrecht aus Stade hat vor 40 Jahren ein Praktikum in Worpswede gemacht.
Auch Maria Albrecht aus Stade freut sich über die Zusage aus Worpswede. Sie stellt ihre Tassen, Teller und Schalen zum ersten Mal hier aus, hat aber vor 40 Jahren in Worpswede ein Praktikum bei der Keramikerin Gisela Meyer-Kaufmann gemacht, was ihr noch lebhaft in Erinnerung ist. Die Organistorinnen hören das gern. Es bestätigt sie in ihrer Auswahl. Regina Blome-Weichert bedauert, dass beim Begriff Kunsthandwerk eine gewisse Beliebigkeit mitschwinge. Heutzutage nenne sich vieles Kunsthandwerk, was eigentlich Hobby-Arbeit sei, beklagt die Schmuck-Designerin. „Es muss wieder in die Köpfe, dass wir Unikate ausstellen, die es so nicht ein zweites Mal gibt.“
Feines aus Glas zum Beispiel. Angela Dödtmann, die zusammen mit Irene Borgardt die „Glaskunst in der Bremer Böttcherstraße“ betreibt, zeigt eine Auswahl filigran gravierter Glasgefäße. Sie greift nach einer Vase, in deren Oberfläche sie zarte Pusteblumen geritzt hat. „Dafür ist viel Gespür erforderlich“, erzählt die Glaskünstlerin, die die Vasen und Schalen frei in der Hand hält und die Gefäße sachte mit einem laufenden Diamant- oder Steinrad in Berührung bringt. Weiches Material ist hingegen die Spezialität von Monika Böse, die in Bremen-Nord seit 25 Jahren ein Atelier für Papierkunst besitzt. Wobei sie von weichem Material gar nicht sprechen möchte. Zumindest nicht, wenn es um Packpapier geht, das sie besonders gern verarbeitet, „weil es so strapazierfähig ist“. Zerknittert und mit Leim- und Erdfarben und leuchtenden Pigmenten versehen, ergeben sich aus diesem Papier auch Bilder, die an Baumrinde erinnern.

Am Stand der Worpswederin Ingrid Ripke Bolinius gab es feines Porzellan.
Nebenan gibtʼs Bücher
Man kann sich über Stunden verlieren in den Räumen des Rathauses, will man all die handgefertigten Dinge würdigen. Feines Porzellan, Silberlöffel, die Geschichten erzählen, warme Webarbeiten, kostbare Keramiken und vieles mehr. Die Taschen, die Udo Fischer mitgebracht hat, kommen einem bekannt vor. Etwa vom Frühstückstisch. Eine Tüte Brandt-Zwieback ziert leuchtend orange den Deckel der Klapptasche, die der Bremer sich umgehängt hat. Der Clou: Die Deckel lassen sich per Klettverschluss austauschen. „So erspart man sich das lästige Umpacken von Handy, Portemonnaie und allem, was sonst noch so in den Taschen steckt.“ Er stellt die Taschen aus, die seine Frau Maren Krämer aus Plastiktüten anfertigt. Was mit Aldi- und Lidl-Tüten begann, hat längst weite Kreise gezogen. Inzwischen verarbeite seine Frau alles, woraus Leute sich eine Tasche fertigen lassen wollen: „Sofakissen, Bademäntel, Gebetsteppiche.“
Ein Blick auf die Uhr bringt den Entschluss, das Rathaus zu verlassen, um nebenan in der Bötjerschen Scheune noch ein bisschen im Büchersortiment zu stöbern. Der Bücherflohmarkt der Stiftung Worpswede gesellt sich seit ein paar Jahren zum Kunsthandwerkermarkt. 13.000 gespendete Bücher haben die Ehrenamtlichen in Kartons gepackt und sie nach Romanen, Erzählungen, Krimis, Kinderbüchern oder Biografien sortiert zum Verkauf angeboten. Nun gehen Taschenbücher für einen Euro und gebundene Bücher für etwas mehr Geld weg wie die sprichwörtlichen Semmeln. „Zwischen 3000 und 3500 Euro kommen bei diesen Flohmärkten zusammen“, erzählt Henner Frevel, der den Buchverkauf organisiert. Das Geld fließt in den Erhalt der Bötjerschen Scheune. Weitere Bücher würden auch im Stiftungsladen in der Bergstraße verkauft. Buchspenden werden an jedem ersten Sonnabend im Monat um 10 Uhr neben der Bötjerschen Scheune entgegengenommen.