Grasberg. Hermann stolziert über den Böttjerschen Hof: hochgewachsen, schöner Farbschlag, langes rostrotes Rumpfgefieder, samtig schwarz an Kopf und Hals, flugsicher, tongewandt. Hermann ist ein Vorwerkhuhn. Gerade ist er als Stadtmeister im Hähnewettkrähen gekürt worden. „Seitdem trägt er die Nase noch höher“, sagt Besitzer Thees Böttjer und lacht. Der 14-Jährige nimmt sein Federvieh auf den Arm. Hermann krallt sich fest. Autsch, sagt Thees. Hermann sagt nichts. Auch als der Junge ihm den Hals krault, um dem Tier wenigstens ein klitzekleines Kikeriki zu entlocken, guckt es schelmisch aus orangegelben Hahnaugen. „Vorführeffekt“, sagt Thees und setzt den Stadtmeister zurück zu seinen 13 Hennen in den Freilauf. Der Hahn sieht sich tatsächlich noch einmal um, als wolle er Thees zuzwinkern.
Mit einem 191-fachen Kikeriki ist das Vorwerkhuhn gerade amtierender Stadtmeister des Kreisverbandes Bremerhaven und Umgebung geworden. Doch jetzt sagt Hermann keinen Mucks. Thees holt schnell den Zinnteller aus seinem Zimmer, darauf ist der Meister-Titel fett eingraviert. Auch der Nutz- und Rassegeflügelzuchtverein Grasberg freut sich über die tolle Trophäe. „Mit vier Leuten sind wir zur Meisterschaft gefahren, mit zwei Preisen zurückgekehrt“, sagt Jugendleiter Andreas Otten aus Worpswede. Thees Mutter zückt ihr Handy. Um 12.08 Uhr kam diese Nachricht, sagt sie. „Hermann hat fertig gekräht.“ In einem 70 mal 70 Zentimeter-Käfig stand er dabei neben 56 Konkurrenten „und hat mit ihnen Kontakt aufgenommen“, ergänzt Thees. Seine Mutter zeigt Fotos. Lange Käfigreihen sind zu sehen. Darauf Grünpflanzen, „damit sich die Hähne beschützt fühlen.“ – Dazwischen Pappen, damit sie sich nicht gegenseitig ablenken. Auf Augenhöhe sitzen die Schiedsrichter jeweils vor einem Käfig und führen Strichlisten: 191 Striche zählt das Mädchen vor Hermanns Käfig an diesem Vormittag. Eine Stunde dauert der Wettkampf. Es sei irre laut in dem Kleintierforum gewesen, erinnert sich Thees. Am Abend vorher habe er Hermann schon mal auf den großen Tag vorbereitet. Die Zeit vor dem Wettbewerb habe der Hahn im Dunklen verbracht, um dann ganz ausgeruht zu sein. „Ich hab mir schon gedacht, dass Herman einen Preis holt, aber gleich den Meistertitel?“, Thees grinst zufrieden.
Zweiter Titel für Thees
Vereinsfreundin Christiane Arens holt mit einem Serama-Zwerghuhn einen zweiten Preis. Für Thees ist es der zweite Titel, den er mit einem Huhn gewinnt. „Gisela hat schon mal den Ersten bei einem Fotowettbewerb geholt“, erzählt der Bergedorfer bei Kaffee und Kuchen mit Blick auf sein Federvieh. Sie sollte für das Motiv einen Zehn-Euro-Schein in ein Sparschwein stecken. Thees präparierte den Schein mit Toastbrot. Gisela schnappte beherzt zu. Thees drückte auf den Auslöser und sahnte den ersten Preis ab. Bei Hermann lag die Sache anders. „Da hatte ich wenig Einfluss.“
Über eine Kleinanzeige haben sich Thees und Hermann kennengelernt. „Drei Wochen war er damals jung.“ Er stamme aus Kuhstedt im Kreis Rotenburg und habe noch zwei Schwestern. „Zwei Hennen und ein Hahn“, eine gute Quote sei das, sagt Thees. Doch dass dies so kommen würde, wusste er erst fünf Wochen nach dem Kauf. „So mit acht Wochen erkennt man, was es ist.“ Hermann ist eine echte Schönheit: Kamm und Kehllappen sind purpurrot. Die Ohrscheiben weiß mit rotem Rand. Vorwerkhühner gelten als so genannte Zweinutzungshühner: Sie liefern neben Eiern auch einen passablen Sonntagsbraten, heißt es im Handbuch für Geflügelzucht. Der Fleischansatz sei allerdings längst nicht so hoch wie bei anderen Nutzhuhnrassen und auch die Legeleistung, rund 150 Eier im Jahr, könne sich nicht mit der von Wirtschaftslinien vergleichen lassen, heißt es weiter. Für Thees sind solche Kriterien völlig irrelevant. Er liebt seine Hühner. Die kleinen Küken, die er gerade im Kaninchenstall aufzieht genauso wie die fünf Jugendlichen, die er gerade gekauft hat. Von Preisträger Hermann und den Hennen ganz zu schweigen. Mit seinen Freunden Mark, Cedric und Schwester Elin habe er in den großen Ferien einen professionellen Stall gebaut. „Aus einem alten Werkzeugschrank.“ Mit Legeplatz, Futterautomat, Eierauffang, Ausgang zum Freilauf, erklärt der Neuntklässler der IGS in Lilienthal. Die Futterstelle ist freischwebend, „sonst könnten Ratten ran gehen.“ Der Stall ist einem professinellen Hühnermobil nachempfunden, das Thees auf der Tarmstedter Ausstellung gesehen hat. 15 000 Euro sollte das Mobil dort kosten.
Als er zehn war, wurde Thees klar, dass er irgendwann Hühner haben würde. Mit zwölf war es soweit. Seit einem halben Jahr ist Thees auch Mitglied im Nutz- und Rassegeflügelzuchtverein Grasberg. Einmal im Monat treffen sie sich, um sich auszutauschen. Am Sonnabend, 8. Oktober, sowie am Sonntag, 9. Oktober, findet die nächste Grasberger Nutz- und Rassegeflügelschau in der Reithalle Wörpedorf statt. Wer Thees und Hermann persönlich kennenlernen möchte, hat dann dazu Gelegenheit.