Landkreis Osterholz. Nach einer Phase des Stillstands kommt offenbar wieder Bewegung in die Pläne zur Reaktivierung des Moorexpress. Für die wenige Jahre vor dem Ersten Weltkrieg in Betrieb genommene und bis zur Einstellung des Personennahverkehrs im Jahr 1978 regelmäßig genutzte Bahnlinie bläst jetzt Rückenwind aus mehreren Richtungen. Davon ist jedenfalls Wolfgang Konukiewitz, Sprecher des Nahverkehrsbündnisses Niedersachsen (NVBN), fest überzeugt. Er rechnet fest mit einer Umsetzung des Projekts. „Aber fünf Jahre wird es wohl noch dauern!“
Rückenwind für die derzeit nur touristisch (während der Sommersaison an Wochenenden und Feiertagen) und für den Güterverkehr genutzte Schiene zwischen Stade und Bremen kommt natürlich vom Klimawandel und seinen Folgen, aber auch von den überlasteten Straßen. Die Politik kann nicht umhin, eine Mobilitätswende zu unterstützen. Verkehrsminister Andreas Scheuer hat ein Milliardenprogramm auf den Weg gebracht und die Bundesmittel für den öffentlichen Nahverkehr auf Rekordniveau aufgestockt. Am 30. Januar hat der Bundestag den entsprechenden Gesetzesentwürfen zugestimmt.
Im Koalitionsvertrag der neuen SPD/CDU-Regierung Niedersachsens wurde 2017 verabredet: „SPD und CDU wollen durch die Reaktivierung von Bahnstrecken und Haltepunkten sowie verbesserte Taktungen den Schienenpersonennahverkehr stärken und länderübergreifende Kooperationen ausbauen.“
Hessen in Vorreiterrolle
Rückenwind kommt auch aus Hessen: Niedersachsen will an die Anstrengungen andocken, die im benachbarten Bundesland unternommen werden, um ein neues Beurteilungsverfahren für ÖPNV-Investitionsmaßnahmen unterhalb der 50-Millionen-Euro-Marke zu erwirken. Damit würden Comeback-Chancen für Eisenbahnstrecken im ländlichen Raum steigen. Eine Vorbildfunktion erhoffen sich die Moorexpress-Lobbyisten von der Lumdatalbahn, deren Wiederinbetriebnahme besonders aus dem Landkreis Gießen vorangetrieben wird. Die schon sehr konkreten Pläne sehen 2023 als Jahr des Neustarts vor.
Die Grünen-Fraktion im niedersächsischen Landtag hatte sich schon 2011 für die Reaktivierung stillgelegter Strecken stark gemacht. 2014 kam es zu einem Auswahlverfahren, in dem sich der von einem sehr aktiven Förderverein und dem Landkreis Osterholz vehement unterstützte Moorexpress gute Chancen ausrechnete. Er scheiterte aber, darüber herrschte Konsens, weil für die Untersuchungen hinsichtlich der Förderwürdigkeit die sogenannte Standardisierte Bewertung zugrunde gelegt wurde. Dabei handelt es sich um eine reine Kosten-Nutzen-Analyse, die für Ballungsräume entwickelt wurde und naturgemäß jene Strecken bevorzugt, die Flächen mit verdichteter Siedlungsstruktur durchziehen. Bereits vorhandene touristische Verkehre seien dabei nicht angemessen abgebildet worden, kritisiert Konukiewitz. Das gelte auch für die „Netzbildung“: In Worpswede werde „wie verrückt“ gebaut. Wie aber solle man aus dem Künstlerdorf oder aus Hüttenbusch nach Bremen kommen? Der frühere Pastor der Martin-Luther-Gemeinde in Bremen-Findorff war Pendler, als er noch in Ostersode wohnte. „45 Minuten hat es gebraucht, wenn es gut voran ging.“
Die Bahn könnte das besser. Der Förderverein Moorexpress, der sich zusammen mit der Arbeitsgemeinschaft Moorexpress seit einigen Jahren für die Wiederaufnahme des schienengebundenen Nahverkehrs zwischen Stade und Bremen einsetzt, hat auf der Basis einer Studie („Nachfrageabschätzung“) eine Art Betriebskonzept entwickelt. Danach könnte der Moorexpress von Worpswede aus in einer halben Stunde den Hauptbahnhof in der Hansestadt erreichen. Die Hessen entwickeln derzeit ein Verfahren, in dem andere Nutzen-Faktoren wie die Entwicklung des ländlichen Raumes und die Entlastung der Städte von Emissionen durch Autoverkehr und Bus-ÖPNV berücksichtigt werden. In die Auswertung der anzufertigenden Gutachten soll Niedersachsen einbezogen werden, heißt es aus dem Verkehrsministerium in Hannover.
Wenn die Moorexpressstrecke es im Windschatten der Lumdatalbahn wieder in den Regelbetrieb schaffen sollte, kämen Berufstätige, Schüler und andere Reisende wieder in den Genuss einer schnellen, bequemen und in gleichmäßigem Takt verkehrenden Verbindung. Natürlich müsste die Strecke, auf der aktuell neben Touristen gelegentlich leere Container transportiert werden, ertüchtigt werden, Bahnübergänge mit Lichtsignalen und Halbschranken ausgestattet werden. Auch die Bahnsteige an den derzeit elf Haltepunkten entsprechen nicht heutigen Standards. Die Anschaffung moderner und komfortabler Fahrzeuge wäre ebenfalls notwendig. Der öffentlich subventionierte Reiseverkehr wird derzeit von der Eisenbahnen und Verkehrsbetriebe GmbH Elbe Weser betrieben. Für den täglichen Betrieb müsste sie sich einer neuen Ausschreibung stellen. Konkukiewitz bringt noch ein weiteres Argument ins Spiel, das für die Reaktivierung stillgelegter Bahnstrecken spricht: Die von Politikern gern beschworenen „gleichen Lebensbedingungen“, denen die häufig völlig unzureichenden Busverkehre im sogenannten ländlichen Raum entgegenstehen. Zunehmend wird das laut Konukiewitz auch als sozialpsychologisches Thema begriffen: „Im ländlichen Raum geht durch die Entleerung der Dörfer ein Stück Heimat verloren. Ein neu verstandener Heimatschutz wäre die notwendige Ergänzung zu Globalisierung und Digitalisierung.“ Reaktivierte Bahnstrecken könnten als Mobilitätsachsen mit historischem Bezug und entsprechenden Anschlüssen an den Busverkehr dem Zusammenhalt der Region dienen und so auch entlegene Gegenden gut an die wirtschaftsstarken Siedlungsräume anschließen.
Der 20. Geburtstag des Moorexpress und der 300. Jürgen Christian Findorffs fallen in diesem Jahr zusammen. Aus diesem Anlass bietet der Förderverein Moorexpress zusammen mit der Arbeitsgemeinschaft Findorff-Siedlungen beim Landkreis Osterholz für Sonntag, den 17. Mai, eine Jubiläumsfahrt an, die unter dem Titel „Mit dem Moorexpress auf Findorffs Spuren“ steht. Abfahrtzeit 9.07 Uhr ab Bremen-Hauptbahnhof und in der Gegenrichtung 9.15 Uhr ab Stade. Ziel ist Iselersheim, wo der „Moorkommissar“ zu Grabe getragen wurde und das jeweils um 13.30 Uhr erreicht wird. Geplant sind dort: Führung im Findorff-Haus und zum Findorff-Grab, Filme, Einkehr im Dorfgasthof möglich. Kosten. Gruppentarif der entsprechenden Preisstufe ab Einstiegshaltepunkt. Im Preis enthalten sind Bahnfahrt, Busfahrt und Veranstaltungen in Iselersheim.Reservierungen werden nur in der Touristikinformation Bremervörde entgegengenommen (touristik@bremervoerde.de, Telefon 04761/987142.
2020 feiert der Moorexpress das 20. Jahr seines Bestehens nach der „Wiedergeburt“ als Tourismus-Schienenbus anlässlich der Expo-Weltausstellung 2000. Zunächst bestand lediglich eine Verbindung zwischen Bremervörde und Osterholz-Scharmbeck. 2001 wurde dieses touristische Projekt durch das Forschungsprojekt „Mobi-Tour“ fortgesetzt und bis Stade erweitert. 2006 folgte der Ausbau bis Bremen. Eine touristische Attraktion für die region.