Die Osterholz-Scharmbecker Notunterkunft für Flüchtlinge ist nach den Worten von Bernhard Gätjen ein Vorzeigeobjekt. Der Bremer Anwalt und Notar muss es wissen: Er ist ehrenamtlicher Regionalvorstand der Johanniter-Unfall-Hilfe Bremen-Verden und die betreibt im öffentlichen Auftrag fast ein Dutzend Flüchtlingsunterkünfte zwischen Cuxhaven und Diepholz. Gätjen lobt das gute Miteinander mit der zuständigen Behörde beim Landkreis Osterholz. Und er lobt Motivation und Engagement der haupt- und ehrenamtlichen Helfer in der ehemaligen Soccerhalle beim Bahnhof. „Das läuft wirklich exzellent; alle arbeiten hier mit großer Empathie zusammen“, sagt Gätjen.
Rainer Ohntrup und seine Mitstreiter vom ehrenamtlichen Orga-Team nickt: „Wir versuchen einfach, immer das Beste aus allem zu machen“, erklärt der pensionierte Lehrer. Die hauptamtlichen Johanniter Carsten Zirnik und Jamila Mirza stellen sich als Teamleiter der Unterkunft ebenso in den Dienst der Mannschaft wie die Security-Leute von Zarah Farnejad. Die Kundenbetreuerin von Top-Gun-Security hilft im Alltag als Dolmetscherin weiter, während ihre Wachdienst-Mitarbeiter auch schon mal den kleinen Bewohnern beim Kampf gegen die Langeweile helfen.
Das gemeinsame Bemühen schweißt zusammen – und das beeindruckt auch den Johanniter-Chef Gätjen, der gelegentlich verzweifeln möchte: an schwerfälliger Bürokratie und den Vorurteilen einiger Landsleute. Susanne Greinert als Koordinatorin beim Landkreis tue alles Mögliche, um unbürokratisch und kreativ zu helfen. Aber: „Wir haben hier Leute, die arbeiten sich krumm; die wollen etwas bewegen, weil es ihnen Freude macht. Und dann werden sie dafür von Pegida angemacht.“ Da müsse man „Farbe bekennen und Kante zeigen“, findet Gätjen, der von sich sagt, er sei „gewiss kein Sozialromantiker“.
Kaum eine andere Einrichtung habe ein so gut gefülltes Wochenprogramm vorzuweisen. Der Plan wird auf Farsi, Arabisch und Deutsch erstellt; er soll den Tag der Bewohner strukturieren. Da gibt es ehrenamtliche Deutschkurse, Kirchencafés, Musik-, Sport- und Mal-Angebote. Mittwochs öffnet „Bekleidungsfee“ Christa Hase den Fundus an Kleiderspenden. Es könnte alles immer noch besser sein, aber sie arbeiten dran. Gerade überlegen sie, wie sich Kinderbetreuung und -spiele ausbauen ließen. Die Notunterkunft soll keine Wartehalle des Schicksals sein.
„Für die 14- bis 17-Jährigen fehlen uns ein bis zwei ehrenamtliche Lehrkräfte, die vielleicht drei Mal pro Woche für zwei oder drei Stunden Deutsch unterrichten“, schildert Rainer Ohntrup. Die Schulpflicht greift wegen des ungeklärten Flüchtlingsstatus’ noch nicht, und Fördermittel der Erwachsenenbildung kann das Orga-Team für die Jugendlichen nicht einsetzen. Lehrmaterial und Unterrichtsraum für etwa 15 junge Leute seien vorhanden. Interessierte erfahren Näheres per Mail an fluechtlingshilfe.ohz@gmail.com. Ohntrup sagt, er habe sich bisher vergebens im Unterstützerkreis umgehört. Der besteht aus mehr als 100 Mail-Adressen, der harte Kern der Unterstützer besteht aus 35 Freiwilligen.
Sprache, da ist sich die Runde einig, ist der Schlüssel zu allem; und ohne Öffnung nach außen keine Integration. Doch die Hindernisse sind vielfältig. Mal geht’s um Sicherheit, mal um Versicherung. Aktuell suchen die Ehrenamtler freiwillige Paten, die als Begleiter bei Einkäufen, Telefonaten und der Freizeitgestaltung fungieren. Es wären wohl eher Kurzzeit-Engagements, sagt Ohntrup mit Blick auf die unsichere Verweildauer der Bewohner. „Das Land gibt uns selbst immer nur für zwei Monate im Voraus Planungssicherheit.“
Beinahe aussichtslos sei die Suche nach Betrieben, die bereit sind, unbezahlte Praktika anbieten. Selbst wenn sie nicht im Landkreis blieben, können die Flüchtlinge so doch schon einmal erfahren, wie ihr Beruf in Deutschland aussieht. Bernhard Gätjen ist an dieser Stelle in seinem Element: Die Flüchtlinge hätten Kenntnisse und Fähigkeiten einzubringen, wenn man sie denn ließe. Dass Betriebe und Geflüchtete davon profitieren würden, „das sagt einem doch der gesunde Menschenverstand“. Bedenkenträger und „diese Vollkasko-Mentalität“ sind ihm ein Gräuel.
Am Johanniter-Team liegt es nicht: Sie haben ihre Hausaufgaben gemacht und inzwischen die beruflichen Vorkenntnisse der Bewohner abgefragt; man könnte also passgenau vermitteln. Der Hintergedanke dabei: Wer nicht nur da sitzt und Däumchen dreht, bekommt weniger schnell einen Lagerkoller. Und der würde, das sei nicht zu beschönigen, sonst doch nur zu Konflikten führen, zumal in der Unterkunft verschiedene Mentalitäten auf engstem Raum zusammenleben.
Bernhard Gätjen nennt ein Beispiel: Als mit dem Wintereinbruch am 3. Januar die Schneefälle kamen, kam die Frage nach dem Räumdienst auf. Unfug, soll der ehrenamtliche Johanniter-Vorstand gesagt haben, ließ noch am selben Tag eine Handvoll Besen und Schaufeln besorgen und die Bewohner packten voller Elan selber an. „So muss das sein.“
Nein, die Haupt- und Ehrenamtlichen wollen nicht jammern. Christa Hase sagt: „Man hört und liest so viel Negatives. Wir haben von Anfang an gesagt, wir gehen positiv an die Aufgabe ran.“ Dankbar erinnern sie sich an die Hilfsbereitschaft der Kreisstädter aus den ersten Wochen. Dennis Schmidt, der die Flüchtlingshilfe der Johanniter in Bremen und umzu koordiniert findet, es konnten schon viele Berührungsängste abgebaut werden. In diese Richtung soll es weiter gehen.
Ankommen in Osterholz
Am 2. Dezember 2015 begann in der Flüchtlingsunterkunft des Landkreises der Betrieb. Die Einrichtung bietet bis zu 150 Flüchtlingen Platz; sie ist zurzeit zu rund drei Vierteln belegt. Die meisten Neuankömmlinge stammen aus Syrien und Afghanistan, einige aus dem Iran und dem Irak. Es sind überwiegend Familien, die in der ehemaligen Soccerhalle auf ihre Registrierung und die Weiterverteilung auf die Städte und Gemeinden warten. Ohne behördliche Einreisepapiere kein Asylantrag und keine staatlichen Leistungen. Doch die Verfahren ziehen sich hin. Als die Redaktion sich nach Möglichkeiten erkundigt, den Alltag in der Notunterkunft abzubilden, um dem Thema ein Gesicht zu geben, rennen wir bei den Verantwortlichen offene Türen ein. Etliche Menschen, die in der Notunterkunft leben und arbeiten, signalisieren sofort Bereitschaft. Jeder von ihnen hat eine Geschichte zu erzählen. Die Idee einer Zeitungsserie ist geboren.
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