Landkreis Osterholz. Ohne Korb geht Annemarie Lampe nicht zum Einkaufen. Im Supermarkt achtet sie auf unverpackte Waren und lässt die kleinen Obsttüten links liegen. In ihrem Kleiderschrank zu Hause hängen wenige, dafür hochwertige Stücke. Im Wochentakt ein neues Outfit? Das kommt für die 61-Jährige nicht infrage, und das nicht nur, weil Mode für sie nicht den Stellenwert hat wie für viele andere. Und für das Essen im Büro nimmt sie eine Brotdose mit.
Ex und hopp – dafür ist die Osterholz-Scharmbeckerin nicht zu haben. Nun gut, Annemarie Lampe arbeitet als Abfallberaterin der Abfall-Service Osterholz (Aso), da sollte sie ein Vorbild sein. Aber nicht nur beruflich wertschätzt sie Nachhaltigkeit und Ressourcen. Auch privat lebt sie das, was sie in ihrem Job vermitteln will: Müll vermeiden, wann immer es geht.
455 Kilo Abfall und 68 Kilo Verpackungsmüll verursacht jeder Einwohner Deutschlands pro Jahr. Das sind die aktuellen Zahlen des Statistischen Bundesamtes. Sie beziehen sich auf das Jahr 2018 und geben den Durchschnittswert für alle Abfall-Arten an, also von Wertstoff bis Restmüll.
Milliarden Kleidungsstücke tragen die Deutsche selten oder nie, ein Unding für die Abfallberaterin. Die Wegwerf-Mode lande nach kurzem Gebrauch in der Mülltonne, koste unnötig Ressourcen und belaste die Umwelt, bedauert Lampe. Ganz abgesehen von den vielfach schlechten Arbeitsbedingungen im Herstellungsland. Man könne aber nicht einfach sagen, dass teure und hochwertige Textilien automatisch unter besseren Bedingungen hergestellt wurde, betont Annemarie Lampe.
Die Gedankenlosigkeit und Maßlosigkeit ärgert sie. Sie dagegen kauft vieles auf Second-Hand-Märkten. Als Alternative zur Fast Fashion propagiert sie Kleidertauschbörsen. Ihren Textilien verhilft sie damit zu einem langen Produktleben. Mehr noch. Sie bringt Kleidung zum Schneider, wenn sich noch was machen lässt. Schuhe gibt sie zum Schuster. Erst wenn nichts mehr geht, kommen die Sachen in die Altkleidersammlung. Kaputte Geräte lässt sie reparieren.
Abfall vermeiden oft einfach
Der beste Abfall ist derjenige, der erst gar nicht anfällt, sagt sie. Mehrwegflaschen, Wassersprudler, Akkus statt Batterien, Mehrweggeschirr auf Kindergeburtstagen oder beim Picknick – Abfall zu vermeiden sei in vielen Bereichen einfach. „Jeder kann das“, betont Annemarie Lampe. Sie will dabei nicht päpstlicher sein als der Papst. „Auch ich kaufe mal einen Joghurt im Plastikbecher, wenn ich darauf Appetit habe.“ Und auf Geschenkpapier und auf Filtertüten mag sie ebenfalls nicht verzichten. Abfallvermeidung müsse in den normalen Alltag passen, unterstreicht die 61-Jährige. Ihre Botschaft richtet sich an die Konsumenten, die ihr Kaufverhalten hinterfragen sollten. Jeder solle einmal Bilanz ziehen, wo bei ihm Abfälle entstehen, nicht nur zu Hause, sondern auch unterwegs, in der Freizeit, im Urlaub. „Jeder kann für sich im Kleinen etwas tun“, lautet das Credo der Kreisstädterin. Auch im Büro. Papier verwendet Annemarie Lampe, wenn es geht, doppelseitig. Texte aus dem Computer druckt sie nur aus, wenn es nötig ist. Auf ihrem Briefkasten zu Hause klebt ein „Keine Werbung“-Schild. Bücher leiht sie aus, wenn es möglich ist. Auf der Arbeit bevorzugen sie und ihre Kollegen Artikel aus 100 Prozent Altpapier und achten auf das Umweltsiegel. Das prangt auch auf ihrem Toilettenpapier. „Mit dem grauen, harten Papier von früher hat das Recycling-Papier heute nicht mehr viel zu tun“, sagt Annemarie Lampe.

Immer schön trennen: Abfallberaterin Annemarie Lampe wirft eine Bananenschale in den Bioabfall.
Sie zieht ihr Smartphone aus der Tasche. Ganz offensichtlich hat es schon bessere Zeiten gesehen. Die Kratzer und Absplitterungen stören seine Besitzerin nicht. Hauptsache, das Ding funktioniert. „Es muss nicht jedes Jahr etwas Neues sein.“ Schätzungsweise 85 Millionen Handys liegen in Deutschland ungenutzt in der Schublade, im Durchschnitt ist ein Handy nur zweieinhalb Jahre in Gebrauch. Viele Produkte würden immer schneller ausrangiert, weiß Annemarie Lampe. Das belaste Umwelt und Klima. Denn für die Produktion neuer Waren würden Energie und Ressourcen benötigt. „2009 wurden weltweit 68 Milliarden Tonnen Rohstoffe verbraucht, 1979 war es die Hälfte“, weiß Lampe. Würden weltweit alle Menschen so leben wie in Deutschland, bräuchten wir 2,8 Erden, um uns ernähren und kleiden zu können, um zu wohnen und mobil zu sein, gibt sie eine Aussage des Naturschutzbundes wieder. Deshalb auch hier die Botschaft der Abfallberaterin: Gegenstände so lange wie möglich nutzen und reparieren lassen statt sie gleich wegzuwerfen. Alte Handys zum Beispiel ließen sich durch eine neue Software aufpeppen. Manche Verpackung und manche Glasflasche lässt sich aber beim besten Willen nicht weiternutzen. In solchen Fällen sollte man seinen Abfall zumindest trennen, lautet der Appell von Annemarie Lampe. Was nicht mehr gebraucht wird, aber noch gut ist, könne weiterverschenkt oder recycelt werden. Und ganz am Anfang der Müllkette stehe die einfache Frage: Muss man das, was man eigentlich nicht braucht, überhaupt kaufen?
Nicht jedes Altgerät ist Elektro-Schrott
Elektrogeräte gehören am Ende ihres Lebens nicht einfach in den Müll. Schließlich stecken wertvolle Rohstoffe drin, oft eben aber auch Schadstoffe. Recycling und fachgerechte Entsorgung sind hier gefragt. Nachhaltiger ist es aber, Elektroschrott zu vermeiden, indem man repariert, weiterverwendet, verschenkt oder verkauft. Geht ein Gerät kaputt und erscheinen die Reparaturkosten beim Hersteller oder in der Fachwerkstatt zu hoch, ist Selbsthilfe immer eine Option. Offene Werkstätten gibt es seit Jahrzehnten. Repair-Cafés sind Treffpunkte, bei denen versierte Laien oder Profis Verbrauchern zur Seite stehen. Ein Bastler-Dorado sind zudem Videoplattformen. Verbraucher sollten immer sehr genau überlegen, ob sie ein neues Gerät wirklich brauchen oder ob das alte nicht noch genügt. Zum Vermeiden von Elektroschrott ist auch das gemeinsame Nutzen von Geräten sinnvoll.
Um- und Weiternutzen ist meistens auch möglich. Ein alter Rechner kann oft zum Zweitgerät, Netzwerkspeicher oder Medienserver werden. Und ein ausgemustertes Smartphone kann eine ältere Anlage mit Streaming-Musik aus dem Internet versorgen oder mit Hilfe von Apps als Babyphon oder Webcam fungieren. Ausgemusterte Geräte, die noch funktionieren, können aber auch weitergegeben oder etwa beim Nabu abgegeben werden. Und auch mit einem Gebraucht- statt mit einem Neukauf kann man viel für die Umwelt tun.