Noch bleibt die Linie 4 weit hinter den Erwartungen zurück. 4500 bis 4800 Fahrgäste hatten Experten vor dem Bau der Straßenbahn für einen durchschnittlichen Werktag prognostiziert. Doch im Jahr 2015 kam die Bremer Straßenbahn AG (BSAG) zwischen Falkenberg und Borgfeld nur auf 2500 Kunden pro Werktag. Zahlen für 2016 sind bei der BSAG bisher nicht zu bekommen.
Weniger Fahrgäste, das bedeutet: Lilienthal und Bremen zahlen drauf. Die Straßenbahngegner Gert Vogels und Alfred Werner sehen schwarz. „Die Katastrophe beginnt 2021“, warnt Vogels. Im Rathaus bleiben Bürgermeister Kristian Tangermann und Rüdiger Reinicke, Geschäftsführer der Wirtschaftsbetriebe Lilienthal (WBL), dennoch gelassen. Nach der Rechnung von Vogels und Werner muss die Gemeinde bei der Linie 4 im Jahr 2021 gut zwei Millionen Euro zubuttern. Für die Zeit danach prophezeien sie ähnlich hohe Kosten. Dabei unterstellen die Lilienthaler, für die die Bahn so überflüssig ist wie ein Kropf, dass die Fahrgastzahlen so bleiben wie 2015.
2009, also fünf Jahre vor dem Start der Linie 4 in Lilienthal, wurden die jährlichen Kosten für den Straßenbahnbetrieb auf der fünfeinhalb Kilometer langen Strecke auf 1,065 Millionen Euro geschätzt. Darin enthalten sind die Instandhaltung, Strom und Personal, Versicherung und der Kapitaldienst für die Fahrzeuge. Gegengerechnet wurden die erwarteten Beförderungserträge von 765 000 Euro, unterm Strich blieb ein Minus von 300.000 Euro. Da die Linie 4 erst im Sommer 2014 mit zwei Jahren Verzögerung startete, wurden Preissteigerungen einkalkuliert, sodass Lilienthal im vergangenen Jahr 322.000 Euro zu zahlen hatte.
Schutzklausel entfällt erst 2025
Damit ist es aber nicht getan. Denn Bremen verlangt von der Gemeinde ein jährliches Infrastrukturentgelt für die Strecke: 405.000 Euro. Im Gegenzug überweisen die Bremer 405.000 Euro an Pacht nach Lilienthal. Aber nicht an die Gemeinde, sondern an die Wirtschaftsbetriebe Lilienthal (WBL). Der gemeindeeigene Betrieb ist Eigentümer des Schienenstrangs und verpachtet ihn an die BSAG. Die WBL müssen aber für die 405.000 Euro Kapitalertragssteuer zahlen, immerhin 70 000 Euro. Und es kann sein, dass der Gewinn der WBL geringer ausfällt, etwa bei höheren Verlusten des Hallenbades.
Weil die Gemeinde ihren Anteil an den Baukosten der Straßenbahn, knapp 13 Millionen Euro, komplett auf Pump finanziert hat, zahlt sie jedes Jahr circa 312.000 Euro an Zinsen für die Kredite. So summieren sich Lilienthals Lasten ohne Gewinne der WBL auf gut eine Million Euro im Jahr, mit dem versteuerten Gewinn aus der Straßenbahn-Pacht sind es gut 700.000 Euro. Doch so geht die Rechnung immer noch nicht auf. Denn die Straßenbahn fährt die kalkulierten Beförderungserträge von 765 000 Euro ja nicht ein. Also fehlen mehrere Hunderttausend Euro im Jahr. Bisher gilt eine Art Schutzklausel für Lilienthal: Bei fehlenden Fahrgasteinnahmen zahlt die Gemeinde höchstens zehn Prozent mehr, also 76.500 Euro. Das restliche Defizit geht zu Lasten Bremens.
Allerdings bleibt das nicht ewig so. Ab 2021 wird alle fünf Jahre neu darüber verhandelt, wer welche Kostenanteile trägt. Für die Straßenbahn-Kritiker Vogels und Werner nimmt die Katastrophe ihren Lauf. Sie rechnen stumpf damit, dass Lilienthal bei 2500 Fahrgästen am Tag pro Jahr 340.000 Euro mehr zahlen muss und unterstellen dabei, dass die Bremer der Gemeinde keinen Schritt entgegen kommen. Außerdem schlagen Vogels und Werner pro Jahr 426.000 Euro als Abschreibung für die Gleisanlagen drauf. Dazu sei die Gemeinde verpflichtet, um auf den Wertverlust im Laufe der Jahre zu reagieren. So kommen die Kritiker auf jährliche Kosten von gut zwei Millionen Euro.
Doch die Rechnung stimmt nicht. „Wir haben keine Abschreibungen im Haushaltsplan“, sagt der Kämmerer Hartmut Schlobohm. „Als Gemeinde haben wir keinen Werteverzehr, weil wir die Anlage nicht gebaut haben. Das muss die WBL machen.“ Die 426.000 Euro fallen also, wenn überhaupt, in dieser Höhe bei den Wirtschaftsbetrieben Lilienthal an. Der WBL-Geschäftsführer Rüdiger Reinicke zeigt auf einen Passus im Eckpunktevertrag mit Bremen, in dem festgeschrieben ist, wer welche Kosten trägt. Danach wird 2021 wohl neu verhandelt. Doch die Schutzklausel, nach der Lilienthal höchstens 76.500 Euro mehr bezahlt, wenn die Fahrgasteinnahmen nicht reichen, gilt bis 2025.
Der Bürgermeister sieht den Verhandlungen gelassen entgegen. „Bremen hat überhaupt kein Interesse daran, Lilienthal über den Tisch zu ziehen“, sagt Tangermann. „Wenn Bremen sich in den Verhandlungen wie eine Wildsau verhält, werden alle Umlandgemeinden sagen: Wir machen kein Stück mehr mit den Bremern gemeinsam.“ Die nächste Straßenbahnverlängerung ins niedersächsische Umland ist schon geplant. Die Linie 1 soll bis Weyhe fahren. Dagegen laufen die Gegner Sturm und nehmen Lilienthal als warnendes Beispiel. Bremen habe großes Interesse am Ausbau des Nahverkehrs, weil der Stadt der Verkehrsinfarkt drohe, so Tangermann. Der Autoverkehr verstopfe Zufahrtstraßen und Innenstadt.
In Lilienthal steigere die Linie 4 die Standortqualität, betont der Bürgermeister. Ein Teil des Klinikpersonals komme mit der Bahn zur Arbeit und sei dankbar dafür, einige Bremer führen damit zum Hallenbad. Die Bahn bewege Menschen, nach Lilienthal zu ziehen, das könnten die Makler bestätigen. Tangermann ist überzeugt davon, dass Lilienthals Wachstumspotenzial die Fahrgastzahlen der Straßenbahn erhöht. Nach drei Jahren sei es zu früh für eine Bilanz. „Es dauert seine Zeit bis die Menschen ihr Verhalten ändern. Lass ich das Auto in Falkenberg stehen oder fahr' ich weiter und hör' Radio? Ist mir der Stau irgendwann zu viel?“