Landkreis Osterholz. Sven-Christian Kindler, Bundestagsabgeordneter der Grünen, hat die Bürgerinitiative (BI) „No Moor Gas“ zum Weitermachen ermutigt. Am Rande des Europawahlkampf-Auftakts in Osterholz-Scharmbeck traf der Politiker mit BI-Vertretern zusammen, die Kindler im Gegenzug um Unterstützung baten. Gemeinsam positionierten sie sich gegen einen Ausbau der Erdgasförderung in der Region. Ihre Minimalforderung: Keine weiteren Erkundungs- oder Bohrgenehmigungen, solange die Ursachen der erhöhten Krebsraten im Umfeld von Förderstätten im Landkreis Rotenburg unklar sind.
Im Laufe dieses Moratoriums sei das Bundesberggesetz zu ändern, sodass Kommunen und Bürger Mitspracherechte erhalten. Kindler hält die jüngsten Änderungen für unzureichend. „Die Grundlage stammt aus vordemokratischen Zeiten, das widerspricht dem europäischen Standard des Vorsorgeprinzips.“ Noch immer sei Fracking als Methode nicht verboten, Umweltverträglichkeitsprüfungen seien nicht zwingend vorgeschrieben und Bohrungen in der Nähe von Trinkwasserschutzgebieten möglich. Bei den BI-Vertretern Anja Büssenschütt, Meike Artmann und Erich von Hofe rannte Kindler damit offene Türen ein. Ein Beispiel für diese Zone-3-Gebiete sei der Bereich Panzenberg, wo Trinkwasser für 800 000 Menschen gefördert werde.
Unzufrieden mit Bund und Land
Während Büssenschütt über die Schwerfälligkeit der Großen Koalitionen in Bund und Land klagte, die an fossilen Energieträgern festhielten, hielt Kindler dagegen, es habe sich in den vergangenen zehn Jahren eine Menge bewegt, wenn auch nicht schnell genug. Das Thema Energiewende und Klimaschutz erfahre inzwischen mehr öffentliche Aufmerksamkeit, meinte er. „Man muss eben dicke Bretter bohren – vor allem, wenn man nicht die Mehrheit hat“, sagte der 35-jährige, der seit 2009 für die Grünen dem Bundestag angehört.
Tatsächlich hege er aktuell wenig Hoffnungen, dass die Bundesregierung erneut an das Bergrecht heran wolle. Auch der erklärte Fracking-Gegner der CDU, Andreas Mattfeldt aus Völkersen, habe durchblicken lassen, mit der Novelle 2017 sei das Ende der Fahnenstange wohl vorerst erreicht. Kindler sitzt mit Mattfeldt zusammen im Haushaltsausschuss des Bundestags. Die von der Dea erneut angekündigten seismischen Messungen in der Region könnten in der Zwischenzeit allenfalls vom Land Niedersachsen ausgebremst werden, hieß es. Aber bei Wirtschaftsminister Bernd Althusmann (CDU) hat sich die BI kürzlich einen Korb geholt. „Mit ihm wird es keinen kurz- oder mittelfristigen Erdgas-Ausstieg geben“, prognostizierte Büssenschütt. Zwar decke die in Niedersachsen geförderte Menge keine sechs Prozent des deutschen Bedarfs; aber die Angst vor Konzern-Klagen sei größer.
Obwohl Artmann und von Hofe für die Grünen auch Kommunalpolitik machen, strich Büssenschütt hervor, die Bürgerinitiative verstehe sich als ein überparteiliches Bündnis. Ihr Kritikpunkt: Das Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie (LBEG) kontrolliere die Förderunternehmen nicht hinreichend; und Minister Althusmann lasse es an Aufsicht über das ihm unterstehende LBEG fehlen – just so wie sein Vorgänger Olaf Lies (SPD). Während der Regierungsbeteiligung in Hannover sei es den Grünen nicht gelungen, die Behörde dem Umweltministerium zu unterstellen: Die SPD habe sich dem Protest der Gewerkschaften gebeugt.
Selbst wenn das Landesamt möglicherweise tatsächlich wenig Ermessensspielraum haben sollte, so ließe sich dieser doch anders nutzen, wenn es politisch gewollt sei, erklärte Kindler: durch Prüfungen, Regelungen, Gespräche und eben ein Fördermoratorium, wie es das unter Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen schon einmal gegeben habe. Die BI „No Moor Gas“ solle weiter Gas geben, ermunterte der Vortragsgast ganz unironisch, der danach auf Einladung der Kreispartei über einen Grünen-Zukunftsplan für Europa sprach. Nach Veranstalterangaben folgten etwa 40 Zuhörer im Wirtshaus „Bei Stagges“ Kindlers Ausführungen über „das erfolgreichste friedenspolitische und wirtschaftspolitische Projekt der Welt“. Dieses gelte es zu verteidigen, indem bei den Europawahlen am 26. Mai die demokratischen Parteien gewählt werden.
Der Brexit, um den es laut Grünen-Sprecherin Brigitte Neuner-Krämer nur am Rande ging, sei ein Lehrbeispiel dafür, dass die Rückkehr in die Nationalstaatlichkeit in die Sackgasse und ins Chaos führe. Kindler setze grüne Ideen dagegen, allen voran einen EU-Haushalt mit eigenen Einnahmen wie Digital- und Finanztransaktionssteuer sowie einen gemeinsamen Mindeststeuersatz, der aber bisher am Prinzip der Einstimmigkeit in der EU-Kommission scheitere. Es brauche leistungsfähige EU-Finanzen, die Investitionen in Infrastruktur und Klimaschutz, emissionsfreie Mobilität und erneuerbare Energien zu stemmen. Europaweite Mindestlöhne, orientiert an den Standards der Länder, sowie einen demokratisch kontrollierten Währungsfonds sieht Kindler ebenso auf der Agenda wie einklagbare Sozialstandards.