Osterholz-Scharmbeck. Das ist wohl Globalisierung: Von Santa Claus hat man auch in Bagdad schon gehört und zu Jingle Bells gibt es einen bekannten arabischen Text. Ungewöhnlich wirkt auf die Irakerin Noor Al-Ameri und ihre Kinder zurzeit allerdings der in hiesigen Breiten ausgedehnte Aufgalopp, die Adventszeit. Seit Dezember 2015 lebt die Englischlehrerin mit ihren Kindern Fahad (13), Yamamah (12), Qasoor (3) und ihrem Mann Firas Mohammood Shakar in Osterholz-Scharmbeck.
„Weihnachten ist ein Fest für die Kinder, ganz klar“, erzählt Tochter Yamamah, die in der Kreisstadt das Gymnasium besucht. „Wir dürfen dann auch Cola trinken.“ Für die Kinder gibt es am 25. Dezember Schokolade und Kekse, Heiligabend-Bescherung mit Geschenken jedoch nicht. Bei Onkel und Tante im Irak hätten sie Weihnachten stets mit einem Tannenbaum gefeiert, erfährt der erstaunte Besucher. So einen Baum will sich die Flüchtlingsfamilie in diesem Jahr auch in ihre Osterholzer Wohnung stellen.
Es gebe im Irak ja auch eine christliche Minderheit, weiß Fahad zu berichten. Seine Familie jedoch zählt sich zu den schiitischen Moslems, die etwa 60 Prozent der Gesamtbevölkerung stellen. Geflohen seien sie vor Krieg und Terror, kamen vor gut zwei Jahren zuerst in der Notunterkunft unter, die in der ehemaligen Soccerhalle eingerichtet worden war.
Eine Kerze als Friedenssymbol
Mitte Dezember hat Noor Al-Ameri mit ihren Kindern in diesem Jahr auch beim Lichterfest im Haus der Kulturen mitgefeiert. Da gab es Lieder, Musik und Backwaren aus aller Herren Länder. Völkerverständigung praktisch. Die Irakerin hat dort eine Kerze angezündet. Ein Symbol für den Frieden auf der Welt. Ja, sie würde sich durchaus als religiös bezeichnen, sagt die Mutter auf Nachfrage. Und Fahad, der das Lernhaus im Campus besucht, fügt ungefragt sofort hinzu, dass sie mit Vollverschleierung und Fanatismus nichts am Hut hätten. Christus, dessen Geburt mit all diesen Bräuchen und Traditionen hier gefeiert werde, sei ja auch ein wichtiger Prophet gewesen, sagt der Junge.
Ob sie in der Vorweihnachtszeit auch mit so weltlichen Dingen wie Klaben oder Spekulatius in Berührung gekommen sind, können Fahad und seine Schwester nicht mit Gewissheit sagen. Ausgeschlossen sei es jedenfalls nicht, meinen sie. Kulinarisch sei die Angelegenheit wohl mit dem Zuckerfest vergleichbar, das den Fastenmonat Ramadan beendet. Als Fastenmonat gilt der neunte Monat des islamischen Mondkalenders; im nächsten Jahr beginnt er am Abend des 15. Mai und endet mit dem Abend des 14. Juni.
Die Dezemberwochen in Deutschland gefallen der Familie sehr; der Trubel, die Düfte. Wer selbst keine Festtagshektik spürt, mag sich das vorweihnachtliche Treiben mit ungetrübtem Interesse und Wohlgefallen betrachten. „Wir gehen gerne raus und sehen uns die Lichter und die Menschen an“, sagt die Mutter. Vermutlich werde an den Feiertagen selbst dann leider nicht mehr so viel los sein auf den Straßen. Da werden sie vielleicht nach Bremen fahren. Das Lichterfest neulich im Haus der Kulturen hat ihr sehr gefallen. „So etwas kannte ich noch nicht.“
Weihnachten in Bagdad, das sei freilich schon etwas anderes gewesen. Die Läden hätten am 25. Dezember bis in die Nacht hinein geöffnet, erzählt Yamamah. Alle seien draußen unterwegs und je nach Stadtviertel bester Laune. „Die Polizei interessiert sich nicht dafür, ob du als Kind längst im Bett sein müsstest oder ob du ohne Licht Fahrrad fährst.“
Die Zwölfjährige träumt davon, später mal Ingenieurin zu werden, Fahad möchte ebenfalls Abitur machen und dann Astronomie studieren. Die Mutter sagt, sie würde ihre beruflichen Kenntnisse ebenfalls gern nutzen, sie wartet nun sehnsüchtig auf einen Platz in einem Deutschkursus. Ob sie dauerhaft in Deutschland wird bleiben können, das weiß die Familie nicht.