Osterholz-Scharmbeck. Behinderte Menschen werden im alltäglichen Sprachgebrauch häufig auf ihre Defizite reduziert. Die freie Journalistin und Psychologin Rebecca Maskos möchte bei einem Vortrag am heutigen Donnerstag im Medienhaus im Campus ab 19.30 Uhr nicht nur Journalisten zu mehr Bewusstsein im Umgang mit Begrifflichkeiten und Redewendungen animieren. Christian Markwort sprach zuvor mit ihr über Berührungsängste, Lösungsansätze und eigene Erfahrungen.
Frau Maskos, auf der Internetseite www.leidmedien.de bieten Sie und ihre Mitstreiter gerade Journalisten, aber auch anderweitig Interessierten eine Auswahl an Begrifflichkeiten an, mit denen über und von Menschen mit Behinderungen berichtet werden kann – was ist dabei das Ziel?
Rebecca Maskos: Wir sind der Meinung, dass viele Formulierungen und Floskeln eher diskriminierend für die Betroffenen und althergebracht sind, so dass es hier dringend einer Auffrischung bedarf. Auf unserer Seite bieten wir vor allen Dingen Pressevertretern mögliche Alternativen an, mit denen deren Berichterstattung konkreter wird und ohne Phrasen auskommt.
Warum gerade Journalisten?
Den Medien kommt eine große Verantwortung bei der Verbreitung von Sprache zu. Ich selbst bin zwar auf den Rollstuhl angewiesen, aber nicht an ihn gefesselt, wie es allgemein formuliert wird. Wir wollen Möglichkeiten aufzeigen, wie man es besser machen kann, gerade in Zeiten, in denen die Inklusion ein großes Thema ist.
Wie gehen sie dabei vor?
Zunächst einmal muss man eine Behinderung, ganz gleich, ob geistig oder körperlich, aus zwei Blickwinkeln betrachten. Behindern die Betroffenen sich und ihre Umwelt oder werden sie von ihrer Umwelt behindert? Der Begriff Behinderung hat seine euphemistische Bedeutung nach Ende des Zweiten Weltkrieges verloren und wird mittlerweile eher beleidigend verwendet. Wir wollen mithelfen, eine Gesellschaft zu gestalten, in der sich Behinderte und Nichtbehinderte auf Augenhöhe begegnen.
Was können Journalisten dazu beitragen?
Es gibt kein Rezept, das man einfach aus der Schublade herausholen kann. Die Inklusion muss nicht nur in der Schule, sondern auch im Alltag und im Berufsleben von allen Beteiligten vorgelebt und vollzogen werden. Häufig erlebe ich persönlich bei vielen Menschen eine gewisse Schwellenangst, sich mit Behinderten auseinander zu setzen. Oft werden mir Fragen gestellt, die Nichtbehinderten nicht gestellt werden. Niemand fragt mich nach dem Weg oder der Uhrzeit, sondern eher, wie ich denn mein Leben im Rollstuhl oder mit meiner Krankheit (Glasknochenkrankheit; Anm. d. Red.) meistere, ob ich Sex habe oder was ich für ein tolles Auto fahre. Statt um Banalitäten geht es – auch bei vielen anderen behinderten Menschen – bei mir oft um wirklich private Dinge.
Was raten sie den Fragestellern?
Zunächst sollten diese sich überlegen, ob sie diese Fragen auch Menschen ohne Behinderung stellen würden. Häufig drängen sie sich in die Privatsphäre behinderter Menschen und merken es nicht einmal. Neugierde ist keine Schande, hat aber auch ihre Grenzen. Obwohl es ja eigentlich genau der richtige Weg ist, um die Inklusion auch innerhalb der Gesellschaft voranzutreiben.
Was meinen sie damit?
Wer über behinderte Menschen spricht oder berichtet, sollte zuerst das persönliche Gespräch mit ihnen suchen. Aber auch hier bestehen noch Berührungsängste, die dringend abgebaut werden müssen.
Wie kann das geschehen?
Behinderte Menschen sollten nicht wie kleine Kinder behandelt, sondern ernst genommen und als vollwertige Mitglieder der Gesellschaft angesehen werden. Niemand muss mir über den Kopf streicheln oder mir Mut zusprechen. Ich bin kein kleines Kind, sondern eine erwachsene Frau. Und genauso, also mit Respekt, möchte ich auch behandelt und beschrieben werden.
Was raten Sie Nichtbehinderten beim Umgang mit Behinderten?
Ganz wichtig ist, dass dieser Mythos ein Ende findet, dass das Leben aufgrund einer Behinderung plötzlich zu Ende ist. Niemand muss mir oder anderen Betroffenen wegen meines Lebensmutes gratulieren. Das macht bei Menschen ohne Behinderung doch auch niemand.
Meistens ist es doch freundlich gemeint...
...hat aber im Subtext immer den Anschein, als wollte ich mir gleich das Leben nehmen. Wir legen keinen Wert auf politische Korrektheit – wir wissen selbst nicht, was eigentlich korrekt ist, da sich die Sprache ständig wandelt. Wir wollen mit dem Projekt Sozialhelden von Raul Krauthausen und unserer Seite im Internet nur ein Bewusstsein dafür schaffen, alte Stereotypen in der Sprache und vorhandenes Klischeedenken innerhalb der Gesellschaft abzuschaffen, damit behinderte Menschen auch als gleichwertige Mitglieder anerkannt werden. Das ist eine wichtige Voraussetzung, um die Inklusion verwirklichen zu können.
Was geben Sie allen Beteiligten dafür mit auf den Weg?
Nun, behinderten Menschen wünsche ich eine Menge Humor, denn sie müssen viel aushalten und ertragen, wenn sie in Kontakt mit Nichtbehinderten kommen. Oft kommt es aus Versehen zu komischen Situationen, bei denen ein verständnisvolles Augenzwinkern sehr hilfreich sein kann. Und allen anderen würde ich raten, sich einfach mal in die Nähe behinderter Menschen zu begeben, also etwas mit Behinderten zu unternehmen oder sich anderweitig zu informieren, um diese Berührungsängste abzubauen.
Die Aktion Mensch fragt in einem Werbespot gerade, ob man Behinderte doof finden darf...
Wenn sie sich doof verhalten, darf man das durchaus, damit wollen die Initiatoren eine gesellschaftliche Diskussion anregen.
Zur Person
Rebecca Maskos arbeitet als Journalistin und Psychologin in Berlin. Sie ist an der Glasknochenkrankheit erkrankt und sitzt im Rollstuhl. Durch Weiterbildungen fördert sie das Sprachbewusstsein.
CM