Landkreis Osterholz. Was hält junge Leute nach der Schulzeit im Kreisgebiet, was lässt sie von hier fortziehen und was hat das alles mit dem Arbeitsmarkt und der Infrastruktur im Landkreis zu tun? Die Osterholzer Kreisverwaltung wollte es genauer wissen und hat dazu das sogenannte Bildungsmonitoring intensiviert. Herzstück ist aktuell eine umfangreiche Befragung von Zehntklässlern und angehenden Abiturienten, mit der sich das Amt für Bildung in den Wochen nach den Herbstferien an 1150 Schüler aus zehn weiterführenden Schulen gewandt hatte. 952 Befragte machten mit, was einer Rücklaufquote von fast 83 Prozent entspricht.
Entsprechend solide und umfangreich ist die Datenbasis, die die Sachbearbeiterin Madlen Herrmann jetzt dem Bildungsausschuss des Kreistags präsentierte. Die Landkreis-Bedienstete hatte den Schülern einen umfangreichen Fragebogen zu Berufsorientierung, Freizeit und Zukunft vorgelegt. Erhoben wurden zunächst Alter, Geschlecht, Wohnort, Geburtsort, Staatsangehörigkeit, Schule und angestrebter Abschluss.
43 Prozent der befragten Berufsschüler, Gesamtschüler und Gymnasiasten erklärten, sie fühlten sich schlecht oder eher schlecht auf die Zeit nach der Schulentlassung vorbereitet. Neun Prozent wissen laut Umfrage noch nicht, was sie im Sommer nach der Schule machen werden. Von denjenigen, die eine Ausbildung, ein duales Studium, ein Freiwilliges Soziales Jahr oder den Bundesfreiwilligendienst anstreben, hatten sich im Oktober 46 Prozent noch nicht beworben. Und 13 Prozent möchten für Ausbildungs-, Arbeits- oder Studienplatz nicht aus dem Landkreis wegziehen.
Die Berufsorientierung, auch das zeigt die Befragung, erfolgt für die Schüler vor allem über Betriebspraktika. Die Arbeitsagentur (49 Prozent) und der Schulunterricht (43 Prozent) spielten weniger eine Rolle. Hilfreich seien neben den Praktika vor allem Freunde, Familie und die Medien. Drei von vier Schülern gaben an, die Beratung bei der Arbeitsagentur oder auch im Berufsinformationszentrum habe ihnen bei der Berufswahl wenig bis gar nicht geholfen.
Mehrere Ergebnisse zum Thema Freizeitbeschäftigung lösten erstauntes Raunen und Tuscheln in den Reihen der Ausschussmitglieder aus: Sport treiben befindet sich demnach nicht unter den Top-Ten-Aktivitäten, denen die Schüler täglich oder mehrmals wöchentlich nachgehen. Offenbar wirke sich der Ausbau der Ganztagsschulen aus, bemerkte die Ausschussvorsitzende Kirstin Döding (Grüne). Dabei würden die vorhandenen Sport- und Freizeitangebote im Kreisgebiet durchaus positiv bewertet.
Gute Noten bekommt der Landkreis für die Familienfreundlichkeit, während der Öffentliche Personennahverkehr sowie fehlende Jugendveranstaltungen und kulturelle Angebote für junge Leute bemängelt werden. Es gebe keine Ausgehszene, hieß es mehrfach. Als politisch interessiert bezeichnen sich 60 Prozent der jungen Menschen. Ihre persönliche Zukunft sehen die Befragten positiv: 55 Prozent äußerten Vorfreude auf das, was noch kommt; knapp ein Viertel äußerte Zufriedenheit beziehungsweise Zuversicht, Sorgen wurden von 15 Prozent geäußert, Zukunftsängste von acht Prozent.
Überraschte Politiker
Kirstin Döding bekannte: „Vieles hätte ich mir so nicht vorgestellt.“ Doch die Sozialdemokraten Björn Herrmann und Elke Schnakenberg mahnten, nun müssten auch Taten folgen, etwa bei der kulturellen Integration der jungen Migranten oder auch bei dem Miteinander mit den Schulen und der Bundesagentur für Arbeit. Auch Mizgin Ciftci (Linke) mahnte, die Kritikpunkte der jungen Menschen ernst zu nehmen. Immerhin 21 Prozent hätten erklärt, sie könnten es sich nicht vorstellen, nach der Schule im Landkreis Osterholz wohnen zu bleiben, weitere 37 Prozent seien unschlüssig.
Während Friedrich Humborg (CDU) vor Schwarzmalerei warnte – die Arbeitslosenquote sei vorbildlich, das habe auch mit den Schulen zu tun –, drängte Wilfried Pallasch (Bürgerfraktion) ebenfalls darauf, das Thema nicht auf die lange Bank zu schieben. „Wer für junge Leute etwas tun will, muss schnell handeln. Wenn wir fünf Jahre brauchen, um einen Spielplatz zu planen, verpufft das Ganze.“ Im Übrigen seien auch ältere Menschen an Treffpunkten oder einem guten ÖPNV-Angebot interessiert. Pallasch sagte, die Politik müsse auch ihre Akzente überdenken, wenn sich nun beispielsweise zeige, dass viel weniger junge Menschen als vermutet Sport treiben.
Aus den Antworten zur offenen Schlussfrage hatte Madlen Herrmann ein zusammenfassendes Zitat gebildet, das sich mit den Job-Perspektiven junger Leute im Kreisgebiet befasst. „Es gibt nur weniger Arbeitgeber, die für mich interessant sind, speziell Arbeitgeber mit Karrierechancen und dualen oder externen Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten. Vielleicht gibt es ja solche Arbeitgeber, aber wo sind sie dann? Qualifizierte Schüler werden aus diesen Gründen in andere Städte gehen.“
Es werde für Politik und Verwaltung nun darauf ankommen, aus den Umfrage-Ergebnissen politische Handlungsansätze zu entwickeln, erklärte die Sozialdezernentin Heike Schumacher. „Es ist für uns sehr wichtig, was Jugendliche denken und wollen.“ Gerade auf die Schulabsolventen müsse sich der Landkreis besser einstellen. Madlen Herrmanns Stelle im Bildungsmonitoring wird zu 40 Prozent vom Bund finanziert. Schon jetzt erklärte der Ausschuss, die Befristung bis Mai 2019 um zwei weitere Jahre verlängern zu wollen.