Frau Widhalm, interessierten Leuten einen Ort von seinen Schokoladenseiten zu zeigen – das muss wohl ein Traumberuf sein.
Es ist in der Tat eine schöne Aufgabe, unseren Gästen diesen Ort mit seiner besonderen Mischung aus Kunst, Kultur und Landschaft auf ganz unterschiedliche Weisen näher zu bringen. Ich genieße es, dabei in der Natur unterwegs zu sein, nette Begegnungen und interessante Gespräche mit meinen Gästen zu haben. Aber wie Sie auch richtig feststellen: Es ist ein Beruf und kein Ehrenamt, der in der Saison nicht selten einen Sieben-Tage-Einsatz verlangt. Dabei ist die Führung selbst nur ein Teil des Arbeitsspektrums, denn der Gästeführer führt sein eigenes kleines Unternehmen mit Büro-, Marketing- und konzeptioneller Arbeit.
Welche Schokoladenseite zeigen Sie am liebsten, welcher von den vielen schönen Schauplätzen in Worpswede ist der von Ihnen favorisierte?
Einen Favoriten habe ich dabei eigentlich nicht. Es immer wieder schön, abseits des im Zentrum herrschenden Trubels durch die Marcusheide zur Käseglocke und zum Barkenhoff zu laufen. Im Ort selbst ist es spannend, sich mit der Architektur und den Museen zu beschäftigen, und bei meinen geführten Radtouren komme ich in der Regel auch zum Fernblick am Weyerberg, der die Gäste regelmäßig in Erstaunen versetzt. Aber auch ein Besuch in einem Atelier bei den heutigen Künstlern ist für mich immer wieder bereichernd.
Welche Referenzen muss ein Gästeführer vorweisen können, welche sollte er mitbringen?
Das hängt ganz davon ab, welche Themen er oder sie anbieten möchte. Beispielsweise bei unseren Führungen zur Kunstgeschichte im Ort und in den Museen setzen wir ein umfangreiches Wissen zur Kunstgeschichte voraus, um dem oftmals kunstinteressierten Publikum eine entsprechende Qualität bieten zu können. Bei den Wald- oder Kräuterführern muss ebenfalls eine spezielle Ausbildung vorhanden sein. Ansonsten muss jeder Gästeführer in der Lage sein, eigenständig Konzepte zu entwickeln, frei vor Gruppen zu sprechen und schließlich auf die individuellen Bedürfnisse der Gäste einzugehen. Neue Kollegen werden von uns intensiv begleitet, ausgebildet und selbstverständlich auch geprüft. Und für die Mitglieder des Vereins organisieren wir regelmäßig Fortbildungen. Schließlich sind wir in unserer Eigenschaft als Gästeführer Multiplikatoren der Region.
Wie stellt sich Ihr ganz persönlicher Werdegang zur Gästeführerin dar?
Nach der Geburt meiner ersten Tochter vor 19 Jahren wollte ich nicht in meinen kaufmännischen Beruf zurückkehren. Meinem Wunsch nach einer Tätigkeit vor Ort, die zugleich die Begegnung mit Menschen einschließt, kam das Angebot, Gästeführerin zu werden, sehr entgegen. Allerdings habe ich begleitend viele Jahre lang Vorlesungen und Seminare im Bereich der Kunstgeschichte belegt, um mich zu qualifizieren. Heute kommen mir beide Ausbildungen sehr zu Gute.
Sie sind Vorsitzende eines Vereins, der erst 2011 gegründet worden ist und nur 21 Mitglieder hat. Wie sind Sie zu der angenehmen Pflicht gekommen, die Auftaktveranstaltung für den Weltgästeführertag nach Worpswede zu holen?
Im März des vergangenen Jahres erhielt ich einen Anruf vom Bundesvorstand des BVGD mit der Frage, ob wir uns vorstellen könnten, diese Veranstaltung in Worpswede zu organisieren. Meine Kollegen und ich haben uns darüber sehr gefreut und sofort zugesagt. Damit treten wir in die Fußstapfen von Vereinen aus Passau, Potsdam, Oberhausen, Lübeck oder Halle an der Saale. Das erfüllt uns offen gestanden schon etwas mit Stolz!
Das diesjährige Thema heißt „Gründerzeit“. Was hat man sich darunter vorzustellen?
Das kann das „Grün der Zeit“ oder auch die „Gründerzeit“– in der Natur, in der Architektur und in der Kunst – gestern und heute meinen. Wenn man sich das Programmheft des BVGD ansieht, dann stößt man wieder auf tolle Angebote, die von den Vereinen entwickelt wurden. Und so manche Führung ist in den vergangenen Jahren so erfolgreich gewesen, dass sie anschließend fester Bestandteil des Programms wurde.
Sie haben im Verlauf dieses Winters mit einigen Sonderangeboten ausgeholfen, gewissermaßen auch als Kompensation für das reduzierte Angebot in den Museen. Wie gut sind diese Veranstaltungen angenommen worden?
Wir sind sehr zufrieden. Sicherlich darf man im Winter keinen Ansturm der Massen erwarten. Aber unserer Angebote sind größtenteils angenommen worden, und wir haben dabei eine durchweg positive Resonanz von den Gästen erfahren dürfen. In der Hoffnung, dass sich dies mit der Zeit herumspricht, werden wir sicherlich auch im kommenden Winter ein schönes Angebot bereithalten.
Was muss man aus Ihrer Sicht tun, um auch im Winter mit touristischen Dienstleistungen größere Besucherscharen nach Worpswede zu locken?
Der Flyer, den wir in diesem Winter gemeinsam mit dem Worpsweder Gastgeberstammtisch, den Worpsweder Museen und der Tourist-Information erarbeitet und herausgegeben haben, ist ein gutes Beispiel für eine fruchtbare Kooperation im Ort. Ich würde mir wünschen, dass dieser Gedanke hier auch von anderen touristischen Leistungsträgern und Geschäftsleuten aufgegriffen würde und dadurch weitere Ideen zur Attraktivitätssteigerung im Winter entstehen könnten. Dabei sind attraktive Öffnungszeiten der Museen und der Tourist-Information in den Wintermonaten dem Ziel, höhere Besucherzahlen zu erreichen, sicher förderlich.
Sie üben Ihre Profession nicht erst seit gestern aus. Was hat sich im Laufe der Jahre verändert?
Gerade in den vergangenen fünf Jahren seit der Gründung unseres Vereins als berufliche Interessengemeinschaft selbstständiger Gästeführer haben wir eine eigene Homepage und ein eigenes System untereinander entwickelt. Außerdem hat sich die Bandbreite unseres Angebots neben den Orts- und Kunstführungen mit den Kostümführungen, den Naturführungen zu Fuß und per Fahrrad, Lesungen und Vielem mehr ganz erheblich erweitert. Außerdem stellen wir einen zunehmenden Anspruch an Qualität und Service seitens unserer Gäste fest. Dem werden wir gerecht, indem wir uns stetig weiterbilden, uns untereinander und innerhalb unseres Bundesverbandes und mit unseren Partnern vor Ort eng vernetzen und austauschen.
Das Interview führte Michael Schön.
Kathrin Widhalm
ist Vorsitzende des 2011 gegründeten Vereins der Gästeführer Worpswede-Teufelsmoor, der am Sonnabend, 20. Februar, die Auftaktveranstaltung zu den bundesweit stattfindenden Aktionen zum Weltgästeführertag organisiert. Nach der Geburt ihrer ersten Tochter hat sich die gelernte Kauffrau in kunstgeschichtlichen Seminaren für ihren Traumberuf qualifziert. Die Mutter von zwei Kindern lebt in Worpswede.
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WELTGÄSTEFÜHRERTAG IM KÜNSTLERDORF
Der Weltgästeführertag wird in Deutschland seit 1999 am 21. Februar ausgerichtet. Genau 14 Jahre zuvor war in Israel der Weltverband der Gästeführer (WFTGA) gegründet worden, dem auch der Bundesverband der Gästeführer in Deutschland – kurz BVGD – mit seinen etwa 6000 Mitgliedern angehört. Unter einem jährlich wechselnden Motto bieten die Vereine am Weltgästeführertag in der gesamten Republik kostenlose Sonderführungen an. Den Gästeführern Worpswede-Teufelsmoor ist diesmal die ehrenvolle Aufgabe zugefallen, Gastgeber bei der Auftaktveranstaltung zu diesem bundesweiten Aktionstag zu sein. Die offizielle Begrüßungsveranstaltung in der Großen Kunstschau beginnt am Sonnabend, 20. Februar, um 11 Uhr. An diesem und auch am folgenden Tag bieten die Gästeführer Worpswede-Teufelsmoor unter dem Motto „Gründerzeit“ Sonderführungen für alle Worpswede-Besucher an. Dafür werden zwar keine Gebühren erhoben, erwünscht ist dafür ausdrücklich eine Spende zugunsten der Flüchtlingsinitiative Worpswede. Auftakt des Rahmenprogramms ist am Sonnabend, 20. Februar, um 12.30 Uhr in der Großen Kunstschau mit der Betrachtung der Werke in diesem Museum – und zwar „im Spiegel des Dichters Rainer Maria Rilke“. Es schließt sich um 13.30 Uhr ein an der Tourist-Information beginnender Rundgang „durch Ort und Kunst auf grünen Pfaden an“. Ab 15.30 Uhr geht es in einem Spaziergang mit Besuch der Großen Kunstschau und des Barkenhoffs um das „Grün in Heinrich Vogelers Kunst“. Mit „Boßeln zum Grünkohl“ klingt der erste Veranstaltungstag aus. Der Kunst und der Natur sind die um 11 und 13 Uhr beginnenden Führungen am Sonntag gewidmet.
MSÖ