Stuhr. Eigentlich waren sich fast alle Mitglieder des Stuhrer Rats bei ihrer Sitzung am Mittwochabend einig, als es um die Frage nach einem Waldkindergarten für die Gemeinde ging. Die Tendenz war positiv. Trotzdem ging die Diskussion um die Einrichtung zur alternativen Kinderbetreuung hoch her. So wurden vor allem der Bedarf eines Waldkindergartens sowie dessen Vor- und Nachteile diskutiert. Auch driftete die Diskussion am Rande einer Grundsatzdebatte über die Arbeitsauffassung von Rat und Gemeindeverwaltung. Am Ende stand dann zwar ein eindeutiges, aber kein einstimmiges Votum.
Für die Grünen-Fraktion, die die Einrichtung eines Waldkindergartens beantragt hatte, begründete Fraktionschefin Kristine Helmerichs die Forderung danach. „Der junge Mensch braucht deshalb seinesgleichen, nämlich Tiere, überhaupt Elementares, Wasser, Dreck, Gebüsche, Spielraum“, zitierte sie den deutschen Psychoanalytiker Alexander Mitscherlich. Das Lernen in der Natur könne für die Kinder ein wichtiger Schritt in der Entwicklung sein. Auch würden Nachbargemeinden wie Weyhe, Syke, Bassum und Bruchhausen-Vilsen bereits eine solche Einrichtung erfolgreich betreiben. „Es stünde der Gemeinde Stuhr gut zu Gesicht“, sagte Helmerichs. Hinzu komme die zu erwartende Entlastung der bereits bestehenden Betreuungseinrichtungen. So könnten in einem möglichen Waldkindergarten insgesamt 15 Kinder vormittags betreut werden.
Der neue FDP-Fraktionschef Alexander Carapinha Hesse erläuterte dann den Zusatzantrag seiner Fraktion, in der eine Elternumfrage zur möglichen Einrichtung gefordert wird. „Vorrangig ist wichtig, ob der Bedarf besteht“, sagte Carapinha Hesse. Wichtig sei zu wissen, ob „ein oder hundert Kinder“ ein solches Betreuungsangebot nutzen würden. Außerdem müsse man sich von der „Illusion verabschieden, dass der Waldkindergarten ein Vollzeitangebot ist“, so der Liberale. Die Bedarfszahlen könnten auch einen Einfluss auf den Standort der Einrichtung haben.
Pro und contra Befragung
Mit einem Ja-Aber reagierte Gerd-Wilhelm Bode (Besser) auf die beiden Vorschläge. So sei er durchaus dafür, dass Kinder in der Natur groß werden. Es sei aber fraglich, ob es dafür eine Einrichtung wie einen Waldkindergarten brauche. So sei es infrage zu stellen, ob die Einrichtung die Bedürfnisse der Kinder befriedigt oder nur die ihrer Eltern, so Bode. „Die Kinder würden aus ihrem sozialen Umfeld herausgerissen werden“, sagte er. Außerdem kritisierte Bode die erhöhte Krankheitsgefahr in einem Waldkindergarten und die mögliche soziale Spaltung durch das Projekt aufgrund der nötigen Mobilität der Eltern sowie die Ausstattung der Kinder. Problematisch am Projekt sei aber auch die mangelnde Inklusion. Eine Elternumfrage halte er für wenig ergiebig. Zwar sei seine Fraktion nicht grundsätzlich gegen einen Waldkindergarten. Zunächst müssten allerdings die offenen Fragen geklärt werden.
„Wir möchten eine Erweiterung der Vielfalt erreichen“, unterstrich Carapinha Hesse den Vorschlag der FDP und erhielt Unterstützung von Peter Strohmeyer (SPD), der ebenfalls eine Elternbefragung forderte. „Das hätte alles längst passieren können“, verweist er auf die lange Diskussion um einen Waldkindergarten. Vor einigen Jahren war bereits ein Antrag für einen Waldkindergarten im Rat gescheitert.
Bürgermeister Niels Thomsen hingegen sah eine mögliche Vorab-Umfrage kritisch. „Die erste Frage der Eltern ist dann: Wo ist der Kindergarten denn?“, so Thomsen. Daher sprach er sich für eine Entscheidung pro oder contra Waldkindergarten aus, damit die Verwaltung zunächst die Arbeit aufnehmen kann und erinnerte den Rat daran, ob er seinen Gestaltungswillen nutzen will. Außerdem fordere das Kitagesetz eine Trägervielfalt, die bisher in Stuhr noch nicht allzu ausgeprägt sei. Der wahre Bedarf zeige sich erst bei den Anmeldezahlen, fand Thomsen.
Unterstützung erhielt er dafür von Frank Schröder (CDU). Der Fraktionsvorsitzende sprach sich dafür aus, ein Angebot zu schaffen und dann zu begleiten. Er sprach sich wie Kristine Helmerichs gegen eine Umfrage aus. Susanne Cohrs (SPD) hingegen war für eine Umfrage. Ihre Fraktionskollegin Gudrun Klomburg verwies auf eine ähnliche Umfrage zum Ganztagsangebot vor ein paar Jahren. Die habe eine ganz andere Dimension gehabt, fand Ralph Ahrens (CDU).
Jürgen Timm (FDP) zeigte Unverständnis für die Kritik. Seine Fraktion habe sich bereits weitreichende Gedanken für einen Standort sowie die nötigen Sanitäranlagen und den benötigten Schutzraum gemacht. Bedenken hatte Susanne Cohrs in Bezug auf die kurze Betreuungszeit von vier Stunden. So sei das Angebot nichts für Alleinerziehende. „Ich habe ganz gehörige Zweifel bei der Einrichtung eines Waldkindergartens“, sagte sie.
Am Ende der langen, teils emotionalen Diskussion wurde der weitreichendere Antrag der Grünen auf die Einrichtung eines Waldkindergartens abgestimmt. Dieser wurde mit 23 Ja-Stimmen (CDU, Grüne, FDP) bei sieben Gegenstimmen (Besser und Teile der SPD) und vier Enthaltungen angenommen.