Tarmstedt. Von virtuellen Haltestellen war jetzt im Tarmstedter Gemeinderat die Rede, von Shuttlefahrzeugen und "On-Demand-Angeboten", die man bei Bedarf per App quasi vor die Haustür beordern kann. Das klingt schwer nach Science Fiction, doch will die Gemeinde Tarmstedt jetzt mit einer groß angelegten Studie für die Samtgemeinden Tarmstedt, Sittensen, Selsingen und Zeven, die die Entwicklungsregion Börde Oste-Wörpe bilden, herausfinden lassen, wie sich künftig die Mobilität auf dem flachen Land klimafreundlicher organisieren lässt.
Die Digitalisierung werde einen enormen Entwicklungsschub bringen, so Henning Aßmann von der Samtgemeindeverwaltung, der die Ziele der geplanten Mobilitätsstudie erläuterte. Zwar werde das eigene Auto weiterhin das Hauptfortbewegungsmittel für Arbeits-, Freizeit- und Einkaufsfahrten sein. Gleichwohl müsse mit Blick auf den Klimawandel die Mobilität auch im ländlichen Raum neu gedacht werden, zumal die Bevölkerung älter werde und gleichzeitig das Auto für junge Menschen nicht mehr eine so große Bedeutung habe wie früher.
Bewegungsdaten erfassen
Mit der Mobilitätsstudie soll nun dreierlei herausgefunden werden: Wo fahren die Menschen, wie bewegen sie sich und welche Verkehrsmittel sind dafür am besten? Ein Fachbüro soll in den Samtgemeinden Tarmstedt, Sittensen, Selsingen und Zeven jede Menge Bewegungsdaten erfassen und auswerten. Dank leistungsfähiger Rechner solle dies "auf sehr kleinteiliger Ebene" geschehen, so Aßmann. Das System könne die Mobilität jedes Haushalts simulieren.
Warum der ganze Aufwand betrieben wird, steht im Projektsteckbrief: Eine Mobilitätswende muss her, um die Klimaschutzziele zu erreichen. Das funktioniere nur, wenn der motorisierte Individualverkehr reduziert wird. Verschiedene Untersuchungen zeigten, dass die Nutzung von Bus und Bahn, des Fahrrads sowie von Carsharingangeboten dort besonders gut funktioniere, wo alternative Fortbewegungsmöglichkeiten zum privaten Auto bestehen. Durch die Etablierung eines verlässlichen On-Demand-Angebotes entstehe somit die Möglichkeit, auf Zweit- oder Drittwagen zu verzichten. Anders als bei Bus, Bahn oder Anrufsammeltaxi verkehren On-?Demand-Angebote vollständig flexibilisiert: Es gibt keine Fahrplan-? und keine Linienwegbindung, gefahren wird nur nach Bedarf mit Kleinbussen oder Pkw, erklärt Aßmanns Kollege Christoph Reuther aus dem Zevener Rathaus. Mithilfe leistungsfähiger Programme solle intelligentes Routing möglichst effiziente Vernetzung von Buchungsanfragen sicherstellen.
EU-Förderung für Studie
Die Verbesserung der Mobilitätsangebote in der Fläche sei auch für die Wirtschaft wichtig, Stichwort Fachkräftemangel. Immer mehr junge Menschen seien es gewohnt, auch ohne privates Auto mobil und flexibel zu sein. Unternehmen auf dem Land stünden mit den innovativen Betrieben in den Großstädten im Wettbewerb um junge Fachkräfte. Hinzu komme, dass auch junge Menschen aus den Oberzentren Hamburg, Bremen und Hannover ihre Freizeitausflüge ins Umland voraussichtlich zunehmend ohne die Nutzung eines privaten Pkw unternehmen möchten. Die Regionen, die auf diese Nachfrage nicht vorbereitet seien, könnten als touristische Destinationen an Anziehungskraft verlieren.
Die Studie soll auch Aufschluss darüber geben, in welchen Bereichen der Linienverkehr möglicherweise besser durch ein On-Demand-Angebot ersetzt werden könnte. Wartezeiten, Taktung, Fahrzeiten und Auslastung, all diese Daten sollen einbezogen werden, berücksichtigt werde der aktuelle und auch der zukünftig zu erwartende Mobilitätsbedarf. Dabei solle auch über den Tellerrand des Landkreises hinaus geschaut werden.
Einen kleinen Haken gibt es noch: Bevor die gut 80.000 Euro teure Studie in Auftrag gegeben wird, muss die Finanzierung gesichert sein. Tarmstedt wird beim Land einen Antrag auf Bezuschussung stellen, denn 90 Prozent der Kosten werden aus Töpfen der Europäischen Union gefördert, so Aßmann.