Verden. Der Angeklagte fehlte, verhandelt wurde dennoch. Der Berufungsprozess gegen den Verdener Rechtsextremisten und „Reichsbürger“ Rigolf Hennig, der sich seit Sonntag im Rotenburger Krankenhaus befindet, konnte gestern trotz seiner Abwesenheit planmäßig beginnen: Sein Pflichtverteidiger war mit der erforderlichen umfassenden Vertretungsvollmacht ausgestattet.
Vom Amtsgericht Verden war Hennig im April vergangenen Jahres wegen mehrfacher Volksverhetzung zu einer anderthalbjährigen Haftstrafe verurteilt worden – in Ermangelung einer günstigen Sozialprognose ohne Bewährung. In zweiter Instanz befasst sich nun die 5. kleine Strafkammer des Landgerichts mit den Vorwürfen, die sich weitgehend auf Ausgaben der Szene-Zeitschrift „Stimme des Reichs“ aus den Jahren 2014 und 2015 beziehen. Insbesondere geht es um Textpassagen, in denen der Holocaust verleugnet oder zumindest in Frage gestellt wird.
Die beanstandeten Artikel und „offenen Briefe“, unter anderem an den Zentralrat der Juden, stammen zwar größtenteils aus der Feder von Hennigs Gesinnungsgenossin Ursula Haverbeck (siehe auch Bericht auf dieser Seite). Der ehemalige NPD-Ratsherr Hennig soll die Inhalte des Blattes aber wesentlich mitbestimmt und zudem maßgeblich für Gestaltung, Vertrieb und finanzielle Abwicklung des Blattes zuständig gewesen sein. Dies alles hatte er vor dem Schöffengericht allerdings in Abrede gestellt. Pflichtverteidiger Martin Kohlmann (Chemnitz) hatte die Anklageschrift als „furchtbar schlampige juristische Arbeit“ bezeichnet und erwartungsgemäß Freispruch für seinen Mandanten gefordert.
Am Montag schlug Kohlmann, Ex-„Republikaner“ wie sein erkrankter Mandant, moderatere Töne an. Er ließ auch verlauten, von der Berufungsbegründung des – ebenfalls abwesenden – Wahlverteidigers Christian Stoll (Hildesheim) nichts zu wissen. Dem Juristen konnte mittels einer Kopie geholfen werden. Stoll soll Freispruch und „hilfsweise Bewährung“ verlangt haben. Im Laufe des Vormittags zeichnete sich ab, dass Rigolf Hennig, der am Mittwoch 83 Jahre alt wird, tatsächlich Chancen auf eine Strafaussetzung zur Bewährung haben dürfte. In zwei der insgesamt neun Fälle könnte das Verfahren – vorläufig – eingestellt werden.
Verteidiger Kohlmann gab eine kurze Erklärung ab, wonach Hennig, der „bei schlechter Gesundheit“ sei, sich von allen „publizistischen und politischen Aktivitäten zurückgezogen“ habe. Eine Bewährungsstrafe von etwa einem Jahr sei vorstellbar, so der Anwalt: „Ich denke, er würde zustimmen.“ Die Kammer will nun einen „Verständigungsvorschlag ausarbeiten“ und beim fälligen Fortsetzungstermin am 17. Mai unterbreiten. Unter Umständen müsse man sich auch über Bewährungsauflagen verständigen, hieß es.