Verden. Ein Wochenende voller Intensität und musikalischer Höhepunkte, neun spannende Ensembles aus Musikern von Weltklasse, ein reich beschenktes Publikum und rundum zufriedene Organisatoren – so lautet die Bilanz des ersten Internationalen Kammermusikfestes Verden am Domgymnasium (DoG).
Nabil Shehata, weltbekannter Kontrabassist und seit 2011 Chefdirigent der Münchener Kammeroper, war einst Schüler am Domgymnasium. Er ist bekannt und befreundet mit erstrangigen Musikern aus aller Welt und dachte seit Langem daran, hier ein internationales Musikfest auf die Beine zu stellen. Im vergangenen August als „verrückte Idee“ auf einem Gartenfest bei Shehatas in die Köpfe gepflanzt, wurden die Pläne schnell konkret: Die Musikpädagogen des DoG, die Nabil Shehata mehrheitlich mit eigenen Augen und Ohren zu einem musikalischen Genie hatten heranwachsen sehen, begeisterten sich derart für das Projekt, dass sie es mit vereinten Kräften in die Tat umsetzten.
Von der straffen Organisation über den solidarisch aufgeteilten Einsatz und die optimale inhaltliche Vorbereitung bis hin zur herzlichen Betreuung und Versorgung der Musiker wurde hier Großes geleistet: Hauptamtliche Festival-Organisatoren könnten es nicht besser.
Die Sponsoren waren begeistert, drei Konzerte im Nu ausverkauft – das Publikum schien nur darauf gewartet zu haben, dass hier einmal wieder erlesene Kammermusik erklingen sollte.
Dem Auftaktkonzert des Vorabends mit Werken von Schubert und Beethoven folgten eine kurze Sonntags-Matinee unter dem Motto „Slawischer Morgen“ und ein grandioses Finale mit dem Titel „Musikalische Momente“.
Indem sich die Ensembles in immer neuer Zusammensetzung präsentierten, ergab sich ein Feuerwerk von musikalischer Vielfalt und Individualität, bei dem natürlich der Kontrabass eine Hauptrolle spielte. So hautnah, Auge in Auge mit den Musikern, spürte das Publikum die Magie des Einzigartigen: Da gab es kompositorische Raritäten, einzig geschaffen, um Instrumente, die sonst eher im Hintergrund stehen, ganz nach vorn zu holen. Und so ließen gleich zwei Bratschisten und zwei Cellisten der Spitzenklasse in verschwenderischer Folge ihre dunklen Instrumente hell aufklingen und all ihr virtuoses Potenzial entfalten.
Zugleich erklangen gleich fünf Gipfelwerke der Kammermusik – und jedes von ihnen so authentisch und meisterhaft, als hätten die Interpreten sich nicht am Morgen des ersten Festival-Tages erstmals getroffen, sondern wären über Jahre miteinander vertraut. Und genau dieses Sich-Finden gleich gestimmter Freunde, bei dem das Publikum direkt dabei ist, ist das Sensationelle des neuen Verdener Festivals.
Am Morgen hatte man die besondere Freude, Nabil Shehata gemeinsam mit seinem Bruder, dem Pianisten Karim Shehata, mit vier wunderbar gesanglichen und extrem virtuosen russischen Duo-Stücken zu erleben. Da musste man sich die Augen reiben: Kann ein Kontrabass wirklich so klingen?
Mit Anton Dvořáks Streichquintett in G-Dur op. 77 wurden die „slawischen Klänge“ in einem orchestral anmutenden Klangkörper zelebriert: Alexandra Conunova (Violine 1), die für den ukrainischen Geiger Andrej Bielow eingesprungen war, Daishin Kashimota (Violine 2), Konstantin Sellheim (Viola), Tim Park (Cello) und Nabil Shehata feierten den unerschöpflichen Melodienreichtum Dvořáks mit begeisternder Intensität und Spielfreude.
Das Finale eröffnete mit dem Beethoven-Streichtrio in c-Moll op. 9 Nr. 3, einem der dunkel verhangensten Werke dieser Gattung – und bot dem Publikum einen musikalischen Moment von Staunen erregender Dichte und Geschlossenheit: Daishin Kashimoto (Violine), Konstantin Sellheim (Viola) und Claudio Bohrquez (Cello) zeigten beeindruckende Dynamik und Empfindsamkeit. Ihre Meisterschaft der leisen Töne erschuf ein Mysterium „gedämpften Leuchtens“.
Mit dem romantischen Concertino op. 38 von Bernhard Romberg für Viola, Cello und Kontrabass sowie der Sonate für Cello und Kontrabass des Barockkomponisten Jean-Baptiste Barrière erklangen zwei bezaubernde „Kabinettstückchen“ für tiefes Streicherensemble von ganz ungewöhnlicher Klangwirkung – samtweich, duftig und ungemein virtuos.
Mit dem Klavierquintett in Es-Dur op. 44 von Robert Schumann beschlossen der pianistische Schumann-Spezialist Eric le Sage, Daishin Kashimoto, Alexandra Conunova, Jan Grüning und Claudio Bohrquez das Festival: Feurig impulsiv und aufrüttelnd der Kopfsatz; reinste Inspiration und bewegende Empfindung der Trauer verhangene zweite Satz; ein lieblich verklärter dritter Satz, der alles enthielt, was Romantik ausmacht, und ein Finalsatz, in dem das Publikum mit dem grandiosen Fugato ein letztes Mal vom Hocker gerissen war: Das möchte man nie wieder anders hören, denn besser geht es nicht – und so etwas erlebt man von nun an alljährlich in Verden an der Aller.