Konzert Experiment gelungen

Nichts für zarte Ohren: Das „Rock-Requiem“ fesselt die Zuhörer im Verdener Dom.
12.11.2017, 19:16 Uhr
Lesedauer: 2 Min
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Von Susanne Ehrlich

Verden. Nichts für zarte Ohren war die diesjährige Totenmesse der Domkantorei und der Senioren-Kantorei im Verdener Dom. Umso größere Anerkennung gebührt den Sängern um Domkantor Tillmann Benfer, die solch ein Experiment wagten und überzeugend meisterten. Mit dem „Rock-Requiem“ von Guntram Pauli musizierten sie gemeinsam mit einer großen Rockband und Musikern der Sinfonietta Aller-Weser und mussten dabei allzu oft gegen vielfach verstärkte Instrumente und voll hoch gesteuerte Rock-Vocals ansingen.

Mit riesiger Band-Power fluteten die neun Musiker den Dom: Dreifach besetztes Keyboard, drei Rocksänger, E- und Akustikgitarre, Saxofon, Querflöte, Violine und Bass, dazu ein großes Schlagzeug und zusätzliche große Orchesterpauken im Hintergrund – als Rockband überzeugten die Gäste aus München rundum, und ihr Sound, der zugleich den „Rock-Roots“ der Siebziger als auch dem aufgefrischten jungen Stil des Symphonic Metal gleicht, konnte Liebhaber dieses Genres absolut vom Hocker reißen. Fantastische Soli, eine Querflöte, die sich tatsächlich mit dem Referenzmeister Ian Anderson vergleichen lässt, virtuose Gitarrensoli, die mit magischer Energie über das Griffbrett jagten, ein Saxofon von intensiver Ausdruckskraft – um nur einige der Höhepunkte zu nennen.

Ein „klassisches“ Drum-Solo mit einem Echo von gewaltigen, minutenlangen Pauken-Vibrations erzeugte als Einleitung zum Tag des Zorns Gänsehaut und inneres Erdbeben – einer der gelungensten musikalischen Einfälle des Komponisten-Teams.

Die Requiem-Sätze waren meistens sehr kurz. Gegliedert war das Werk durch englisch getextete Rocksongs, die die jeweiligen Aussagen frei kommentierten und stellenweise die eigentliche Hauptsache zum Beiwerk machten. Nur die Teile des Requiems, die von den Sängern Guntram Pauli und Hugo Scholz oder der Sängerin Gerda Windt interpretiert wurden, waren sehr ausgedehnt, wurden gleichsam zelebriert – aber eben als reiner Rock. Dann wurden die Domsänger zum Background-Chor, was zwar seinen Reiz hatte, jedoch der Aufgabe eines Kantorei-Chores nicht in vollem Umfang gerecht wurde.

Berührender waren die wenigen Sätze, in denen der Chor selbst Akteur war, wie zu Beginn des „Rex Tremendae“, das im Wechsel mit den Solisten und mit wunderbar kraftvollem Orchesterklang gestaltet war – oder eine sehr eindrucksvolle A-Cappella-Sequenz des Chores mit „Quaerens me“.

Viel zu selten, und wenn, dann stilistisch wirklich überzeugend, gab es jene Fusion zwischen Rock und Klassik, die man doch eigentlich von „Rock meets Classic“ erwarten darf – wie zum Beispiel zu Beginn des „Offertorium“. Doch kaum einmal wurde die Dominanz der E-Instrumente so zurückgenommen, dass eine Gleichwertigkeit entstand. So blieb das Potenzial der Idee meist stärker als ihre Realisierung: Wenn man die sehr gelungenen Rocksongs über den Sinn des Lebens, Apokalypse oder Todessehnsucht herausgelöst und einfach als Rock-Konzert präsentiert hätte, wären sie um nichts weniger überzeugend gewesen, denn die Selbstinszenierung der Band stand durchgängig im Vordergrund. In den seltenen „Klassik-Momenten“ erkannte der Kenner manch undeklarierte Leihgabe aus der Klassik, wie zum Beispiel das Trauermotiv um Richard Wagner aus Bruckners Siebter – leider um den entscheidenden Halbton abgewandelt.

Seit Pauli das Crossover-Werk vor fast 40 Jahren mit Christian Krabitz und Klaus Haimerl schrieb und mit dem Bach-Collegium München und dem Chor der Christuskirche aus der Taufe hob, erfuhr es zahllose Aufführungen mit oft namhaften Orchestern und Chören. Die Domsänger, die sich so mutig auf dieses Experiment eingelassen haben, sind sicherlich um eine Erfahrung reicher, und für die Besucher – vor allem die Rock-Fans – hat sich der Abend gelohnt.

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