Die Polizeibeamten trauten ihren Augen nicht. Ein Mann auf der Wache, den sie als Zeugen geladen hatten, mit dem aber nicht zu rechnen gewesen war. Schließlich lag gegen ihn ein Haftbefehl vor und stellen wollte er sich gewiss nicht, als er bei der Polizei in Achim auftauchte. Alexander Onischenko wollte aussagen, mehr nicht.
Es ging um einen Betrugsfall, angeblich im Zusammenhang mit dem Handel von Pferden. Als dann plötzlich die Handschellen klickten, war er nach Schilderungen der Polizei sichtlich überrascht. Ein kurzer Besuch auf der Wache und nun das: Festnahme und drohende Abschiebung in die Ukraine, der Heimat des milliardenschweren Oligarchen. Ihm wird vorgeworfen, seine Geschäfte mit Gas zulasten der Staatskasse manipuliert zu haben. Doch das ist nur eine Facette. Der Fall ist so schillernd, so reich an politischen, wirtschaftlichen, juristischen, auch sportlichen Aspekten, dass genug Stoff für ein Buch zusammenkommt. Ein kleines Kapitel der Geschichte kann nun Achim für sich beanspruchen, ein viel größeres Herzlake, der 4500-Seelen-Ort im Emsland.
Rainer Ditzfeld, Bürgermeister von Achim, hatte aus der Zeitung davon erfahren, wer in seiner Stadt festgesetzt wurde. „Das hat mich natürlich interessiert“, sagt er. So ein prominenter Zeitgenosse und dann auch noch steinreich. Sollte er etwa in Achim leben? „Ich habe bei unserem Einwohnermeldeamt nachgefragt, war aber nichts, kein erster, auch kein zweiter Wohnsitz.“ Ditzfeld hat einen Strich drunter gemacht, erledigt, obwohl: Wenn Onischenko in Achim aussagen sollte, muss das der Ort des mutmaßlichen Betrugs mit Pferden sein. Eine Verbindung gibt es also.
Der Mann, 50 Jahre alt, sitzt seit seiner Festnahme in der Justizvollzugsanstalt Oldenburg. Er dürfte dort zurzeit wohl der prominenteste Häftling sein. Zu tun hat das unter anderem mit Äußerungen von ihm, die in den Präsidentenwahlkampf in den USA hineinspielen. Onischenko, angeblich ein Anhänger von Donald Trump, hatte vage Andeutungen über die Ukraine-Geschäfte der Biden-Familie gemacht. Joe Biden gehört zur Demokratischen Partei und bewirbt sich um die Präsidentschaft. Trump wirft den Bidens vor, in der Ukraine in Korruption verwickelt gewesen zu sein.
Onischenko könnte so etwas wissen, er verfügt in seiner Heimat über hervorragende Kontakte. Der Oligarch war Mitglied im Obersten Rat, dem Parlament der Ukraine, und ist mit der ehemaligen Ministerpräsidentin Julia Timoschenko befreundet. Beide eint ihr Engagement im Gasgeschäft, beide hat es reich gemacht. Gas ist das verbindende Element in der Ukraine, profitiert hat davon bis vor Kurzem auch Hunter Biden, der Sohn des US-amerikanischen Präsidentschaftsbewerbers.
Politik, Wirtschaft – und Sport: Onischenko ist passionierter Reiter und Pferdezüchter, er war elf Jahre Präsident des nationalen Reitsportverbands, nahm als Aktiver an Olympischen Spielen teil und hat enge freundschaftliche Beziehungen zu den Klitschko-Brüdern und dem ehemaligen Tennis-Star Martina Hingis.

Onischenko ist Sportler. Vor fünf Jahren nahm er mit seinem Pferd „Valentino Velvet“ in Frankreich an einem Showturnier teil.
Vor fünf Jahren investierte der Milliardär in Deutschland und kaufte zwei Kilometer von Herzlake entfernt das Gut Einhaus: 100 Hektar Land, idyllisch am Flüsschen Hase gelegen. Auf dem Anwesen gibt es Reitsportanlagen für den Trainingsbetrieb, ein prächtiges Gutshaus, viele Nebengebäude und edel ausgestattete Ställe für mehr als 50 Pferde. Onischenkos Plan war, dort große Turniere zu veranstalten. Herzlake fand das gut, versprach sich touristischen Aufwind, doch die Träume platzten.
Hans Bösken ist Bürgermeister von Herzlake. Er erzählt von Onischenko: „Ich habe mich erst vor ein paar Wochen mit ihm getroffen, wir sprachen über sein Gut, er hat neue Pläne.“ Bösken beschreibt den Oligarchen als freundlichen Menschen. „Er ist höflich und lässt nicht raushängen, dass er viel Geld hat.“ Sein Deutsch sei sehr gut, kein Problem, sich mit ihm zu verständigen. Onischenko ist eingetragener Bürger von Herzlake, bestätigt der Bürgermeister.
„Der ließ sich mit dem Hubschrauber einfliegen"
Der Neuankömmling blieb nicht unbemerkt. Er war zwar nur selten da, machte aber immer einen Riesenwirbel, wenn es wieder soweit war. „Der ließ sich mit dem Hubschrauber einfliegen, und dann wussten wir: Onischenko kommt“, erinnert sich eine Nachbarin. Kontakt hätten sie keinen gehabt. Das Gut schotte sich ab, „da laufen scharfe Hunde rum“. Onischenko habe sich gekümmert, die Weiden und alles, „sehr gepflegt und wertvolle Tiere“, sagt die Frau. Sie erzählt von den Trainern und Reitern, die der Oligarch beschäftigt hat – lauter Spitzenleute, darunter René Tebbel, mehrmaliger Deutscher Meister und Olympiateilnehmer. An die deutsche Reiterlegende Paul Schockemöhle hatte Onischenko 44 Pferde verkauft.
Dass dieser Mann nun in Haft sitzt – für Herzlakes Bürgermeister ist das ein Rätsel: „Er hat sich ja nicht versteckt und sogar an Reitturnieren teilgenommen.“ Bösken weiß von dem internationalen Haftbefehl, den die Ukraine vor drei Jahren erlassen hat. Das habe aber die ganze Zeit keine Rolle gespielt.
Onischenko ist in Herzlake gemeldet, die Staatsbürgerschaft hat er damit aber noch nicht. Deutschland duldet ihn nur. Zurzeit liegt der Fall noch bei der Generalstaatsanwaltschaft in Oldenburg. Demnächst geht er an das Oldenburger Oberlandesgericht (OLG), wo die Richter entscheiden, ob Onischenko an die Ukraine ausgeliefert wird.

Onischenko ist Sportler. Vor fünf Jahren nahm er mit seinem Pferd „Valentino Velvet“ in Frankreich an einem Showturnier teil. Das Bild rechts zeigt den Stall auf Gut Einhaus bei Herzlake. Für seine Tiere ist dem Milliardär offenbar nichts zu teuer.
Dass die deutschen Behörden erst jetzt auf den Haftbefehl und das damit verbundene Auslieferungsbegehren reagieren, könnte mit dem Regierungswechsel in der Ukraine zu tun haben. Bis zum Mai hieß der Präsident Petro Poroschenko. Er war früher eng verbunden mit Onischenko und übertrug ihm in den ersten zwei Jahren seiner Amtszeit wichtige Aufgaben. 2016 kam es zwischen den beiden zum Bruch. Onischenko floh ins Ausland, nach London, später nach Spanien. Zwischendurch war er immer wieder in Deutschland, in Herzlake. Er schrieb ein Buch über Poroschenko und warf ihm vor, korrupt zu sein. Aus Freunden wurde Feinde. Onischenko konnte in seiner Heimat mit keinem fairen Verfahren rechnen, eine Sicht, die von den Behörden in Deutschland offenbar geteilt wurde. Doch nun gibt es mit Wladimir Selenski einen neuen ukrainischen Präsidenten.
Der Anwalt von Onischenko sieht in dem Wechsel für seinen Mandanten keine grundlegend neue Situation. „Die Ukraine war unter Poroschenko weit davon entfernt, ein Rechtsstaat zu sein. Das ist heute nicht anders“, sagt Ingo Minoggio aus Münster. Es bestehe weiterhin die Gefahr, dass Onischenko der Prozess gemacht werde, ohne eine Chance, sich angemessen zu verteidigen. Mehr noch: „Wir haben Hinweise, dass Herrn Onischenko etwas angetan werden könnte.“
Am vergangenen Wochenende hat Minoggio seinen Mandanten im Gefängnis besucht. Eigentlich wollte Onischenko zu der Zeit bereits wieder in Spanien sein, ein Flugticket nach Barcelona war bereits gebucht. Nebenbei hat er sich in Ungarn um ein Visum für die USA bemüht. Mit der Festnahme in Achim liegen diese Pläne vorerst auf Eis.