Gemeinderat Kirchlinteln strebt Partnerschaft an

Applaus der Einwohner war in dieser Woche bei der Sitzung des Kirchlintler Rates zu hören. Die Unterstützung der ukrainischen Stadt Tlumatsch stand an diesem Abend im Fokus.
16.03.2023, 16:32 Uhr
Lesedauer: 4 Min
Zur Merkliste
Kirchlinteln strebt Partnerschaft an
Von Marie Lührs

Das Mensa-Team der Oberschule Kirchlinteln wird ab September nur noch für die Kindertagesstätten die Kochlöffel schwingen. Dafür hat sich an diesem Mittwoch der Kirchlintler Gemeinderat einstimmig ausgesprochen. Schon im Verwaltungs- und Schulausschuss waren sich die Lokalpolitiker einig: Für die Mittagsverpflegung der Oberschüler soll künftig ein externer Dienstleister zuständig sein. Im Mittelpunkt des Abends stand jedoch ein gemeinsamer Antrag aller Fraktionen mit dem Ziel, die ukrainische Stadt Tlumatsch weiter zu unterstützen und eine offizielle Partnerschaft anzustreben. 

Geradezu harmonisch ging es bei der Ratssitzung zu. Denn auch in allen anderen Punkten zeigten sich die Parteien einig. So soll der Wirtschaftsweg, der von Scharnhorst in südöstlicher Richtung zur Straße Zum Lindhoop in Kirchlinteln führt, künftig den Namen Lämmer Moor tragen. Hintergrund der Entscheidung ist, dass die Stadt Verden die Straße Im Dorf, die aus Scharnhorst zum noch namenlosen Wirtschaftsweg führt, in Lämmer Moor umbenannt hat, heißt es in der Erklärung der Verwaltung. Die Straße soll nun durchgängig einen einheitlichen Namen tragen. 

Emotionale Stimmung

Geradezu emotional wurde es beim gemeinsamen Antrag der Fraktionen. Eine Gruppe Männer und Frauen aus der Ukraine, die in der Gemeinde Kirchlinteln ein sicheres Zuhause gefunden hat, verfolgte die Ratssitzung im Publikum. "Es ist nicht so oft, dass wir alle gemeinsam einen Antrag stellen", leitete Richard Eckermann (SPD) ein. Die Zusammenarbeit zeige, dass das Thema allen wichtig sei. Über ein Jahr sei es her, dass Russland in die Ukraine eingefallen sei. Die Nachricht über den Krieg habe auch die Menschen in Kirchlinteln tief getroffen. "Es ist toll, was seitdem an Spenden und Unterstützung aus der Gemeinde gekommen ist."

Lesen Sie auch

In dem gemeinsamen Antrag bringen die Lokalpolitiker die Hoffnung zum Ausdruck, dass möglichst kurzfristig ein weiterer Hilfstransport aus der Gemeinde Kirchlinteln nach Tlumatsch auf den Weg gebracht werde. "Der Gemeinderat erklärt dazu seine Bereitschaft, der ukrainischen Stadt Tlumatsch für eine langfristig angelegte, enge Zusammenarbeit den offiziellen Abschluss einer Partnerschaft mit der Gemeinde Kirchlinteln anzubieten, sodass dauerhaft auf verlässlicher organisatorischer Basis ein Ausbau der Zusammenarbeit und ein gegenseitiger Austausch möglich werden", heißt es im Antrag. Die Gemeindeverwaltung werde beauftragt, der Verwaltung von Tlumatsch den Abschluss einer Partnerschaft anzubieten. 

Kontakt über Jugendhilfe

Rückblick: Über die Jugendhilfe Sirius war Kontakt zu der Stadt im Westen der Ukraine entstanden. Der erste Hilfskonvoi setzte sich bereits im vergangenen März in Bewegung. Auf dem Rückweg brachte er 61 Menschen aus der Ukraine mit. Die Hälfte von ihnen waren Kinder aus einem evakuierten Waisenhaus, deren Betreuung Sirius übernahm. Die anderen Geflüchteten konnten in Privatunterkünften untergebracht werden. 

Lesen Sie auch

"Wir haben entschieden, unsere Sitzungsgelder zu spenden", sprach Eckermann für die Gruppe aus SPD, Grünen und Freien und lud die Mitglieder der CDU ein, Selbiges zu tun. Ein Vorschlag, der bei den Christdemokraten auf Zuspruch stieß. Und auch an die Bürgerinnen und Bürger der Gemeinde appellierten die Ratsmitglieder, das Leid in der Ukraine nicht zu vergessen. Natürlich sei auch für die Menschen in Deutschland die Situation wirtschaftlich schwierig, doch mit der Lage in der Ukraine sei sie nicht zu vergleichen. "Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts", zitierte Eckermann Willy Brandt. "Wir wollen euch weiter helfen", versicherte er den Geflüchteten im Publikum.

Roggatz blickt zurück

Uwe Roggatz (ebenfalls SPD) erinnerte daran, wie die 61 Menschen aus der Ukraine vor rund einem Jahr mit Bussen ins Unbekannte aufgebrochen waren und sich nach einer strapaziösen Reise in Kirchlinteln wiedergefunden hätten. Ohne Deutschkenntnisse und weit weg von ihrer Heimat hätten sie sich seitdem ein neues Leben aufgebaut – auch dank der großen Hilfe aus der Kirchlintler Bevölkerung. Die Städtepartnerschaft und die Zusage weiterer Unterstützung seien zum einen materiell, aber auch moralisch eine sehr wichtige Botschaft. 

Ob die Verwaltung in Tlumatsch sich in der aktuellen Situation mit einer Partnerschaft befassen wolle oder nicht, das Angebot und Signal aus Kirchlinteln sei wichtig, unterstrich auch Thorsten Blanke (CDU). "Ich hoffe, das die kriegerischen Handlungen kurzfristig enden und wir die Menschen in Tlumatsch persönlich kennenlernen können", betonte er. 

Mut und Widerstand

Wilhelm Haase-Bruns (Grüne) wandte sich ebenfalls an die Geflüchteten im Publikum: "Ich bewundere euch für euren Mut. Ihr seid einfach in einen Bus mit fremden Männern gestiegen." Auch der "ungeheure Widerstand in der Ukraine", habe ihn nachhaltig beeindruckt. "Sie haben es uns mit der Integration leicht gemacht", sprach der Grüne weiter. Das gelte nicht nur für Kirchlinteln, sagte Haase-Bruns und erzählte von einem neunjährigen Mädchen, das im vergangenen Jahr aus der Ukraine nach Norddeutschland gekommen sei und vor Kurzem einen plattdeutschen Lesewettbewerb gewonnen habe. 

"Der Antrag wird von Klugheit getragen", lobte Bürgermeister Arne Jacobs (CDU). Er werde noch in dieser Woche einen Brief an seinen ukrainischen Amtskollegen verfassen. Ihm liege viel daran, auch einmal persönlich nach Tlumatsch zu reisen. 

Blick in die Geschichte

Der Ratsvorsitzende Wilhelm Hogrefe zog schließlich den Vergleich zur deutschen Wiedervereinigung. Auch damals habe es viel Solidarität gegeben. Er ließ den Blick auch noch tiefer in die Geschichte schweifen: "Tlumatsch gehörte zum Habsburger Reich. Es ist uraltes, europäisches Land." Nun müsse ganz Europa weiter zusammenhalten, auch wenn der Krieg, wie er befürchte, noch lange dauern werde. Ziel sei nicht, dass die Nato, sondern das Europa wachse.

Das ukrainische Publikum bedachte die Worte der Ratsmitglieder mit Applaus. Die Verwaltung wird sich nun mit dem Antrag beschäftigen, der anschließend im Kulturausschuss ein weiteres Mal Thema wird.

Jetzt sichern: Wir schenken Ihnen 1 Monat WK+!
Mehr zum Thema
Lesermeinungen (bitte beachten Sie unsere Community-Regeln)

Das könnte Sie auch interessieren

Einwilligung und Werberichtlinie

Ich erkläre mich damit einverstanden, dass die von mir angegebenen Daten dazu genutzt werden, regelmäßig per E-Mail redaktionelle Inhalte des WESER-KURIER seitens der Chefredaktion zu erhalten. Die Daten werden nicht an Dritte weitergegeben. Ich kann diese Einwilligung jederzeit formlos mit Wirkung für die Zukunft widerrufen, z.B. per E-Mail an widerruf@weser-kurier.de.
Weitere Informationen nach Art. 13 finden Sie unter https://www.weser-kurier.de/datenschutz

Schließen

Das Beste mit WK+