Etwa 10 000 Pilzarten gibt es in Deutschland und davon rund 4000 in Niedersachsen. Geschätzte 50 Arten haben nun zwanzig Interessierte während eines gut dreistündigen Spaziergangs durch den Staatsforst Lindhoop im Landkreis Verden kennengelernt. Dickschaliger Kartoffelbovist, Blaugrüner Reiftäubling, Pfeffer-Röhrling, Flattermilchling, Striegeliger Schichtpilz, Rosablättriger Helmling, Geflecktblättriger Flämmling, Wurzel-Schleimrübling, Falscher Pfifferling und noch viele andere Arten wurden vom Pilzexperten Jörg Albers problemlos bestimmt. Eingeladen zu dieser Pilz-Exkursion hatte der Naturschutzbund (Nabu) Verden.
Der Sachverständige aus Tostedt ließ sich nicht aus der Ruhe bringen durch die vielen Fragen der Teilnehmer: „Was ist das für ein Pilz?“ oder „Kann man den essen?“. Er ließ keine Frage unbeantwortet, musste manchmal eine Lupe zur Hand nehmen, um selbst kleinste Pilzarten, die kaum zwei Zentimeter hoch und einen Stängeldurchmesser von einem Millimeter haben, sicher zu bestimmen. Oder er schnitt mit einem Messer den Pilz durch wie beim Dickschaligen Kartoffelbovist, der zur Gruppe der Bauchpilze gehört. Bauchpilze deshalb, weil die Sporen bei ihnen nicht an der Unterseite des Hutes zu finden sind – wie bei vielen anderen Arten –, sondern im Inneren, sozusagen in deren „Bauch“. Kartoffelboviste mit dunklem Inneren sind giftig, alle Boviste mit weißem Fleisch dagegen essbar.
130 Arten des Täubling
Mit gut 130 verschiedenen Arten ist die Gattung der Täublinge (Russula) in Niedersachsen vertreten, erzählt Albers. Täublinge haben ein brüchiges Fleisch, das nicht fasert. „Dies ist eine wunderschöne Pilzgruppe, allfarbig und optisch oft sehr attraktiv“, begeistert sich der Pilzexperte. Die mildschmeckenden Arten unter den Täublingen sind gute Speisepilze und schmecken für ihn viel besser als die bekannten Maronen.
Die Teilnehmer hörten aufmerksam zu. Für eine Wanderung durch den Forst war das schöne Wetter angenehm. Es regnete nicht, und die Sonne schien. Für Albers war das Wetter nicht optimal: „Zu trocken, es fehlt den Pilzen an Wasser, schon seit Jahren.“ Ohne Pilze hätten es die Bäume noch schwerer, „es sind die Überlebensretter“. Viele Pilze leben in einer Mykorrhiza mit Bäumen, einer Lebensgemeinschaft zwischen den Wurzeln und dem Pilzgeflecht. In diesem „Zusammenleben“ ungleicher Lebewesen zu gegenseitigem Nutzen, Symbiose genannt, versorgen Pilze und Bäume sich gegenseitig in „einem genialen Wechselspiel“ zum Beispiel mit Wasser. Andere Lamellenpilze oder auch Porlinge entwickeln sich an Ästen und Zweigen und sorgen dafür, dass das Holz zu 99 Prozent zerlegt wird und vergeht. „Die Pilze sorgen also dafür, dass wir nicht im Biomüll ersticken“, sagt Albers. Dazu gehört auch die Gruppe der Helmlinge mit ihren rund 150 verschiedenen Arten. Der Pfefferröhrling sollte nicht zum Würzen von Speisen benutzt werden, was der Name andeuten könnte. Diese Pilzart ist „richtig schön scharf“ und nicht essbar. Pfeffer aus der Mühle schmecke besser als jeder Pfefferröhrling.
Anna Würfel aus Nindorf zeigte sich wissbegierig. „Das Thema hat mich interessiert, damit ich jetzt zu Beginn der Pilzsaison schon mal selbst die Pilze bestimmen kann und ich nicht mehr so viel fragen muss.“ Für sie bedeute dieser Pilzstreifzug durch den Lindhoop eine Grundbasis, damit sie ihre Suche beginnen könne. Ein bisschen besser kannte sich schon eine junge Frau aus Fischerhude aus. Ihr Korb war voll mit Pilzen. „Zu Hause wird davon ein schmackhaftes Essen zubereitet“, freute sie sich schon.
Weiter ging es unter den großen Buchen im Staatsforst. Auf einer Birke ist ein leuchtend gelber „Schleimpilz“ zu sehen, die „Gelbe Lohblüte“, die aber nicht zu den eigentlichen Pilzen gehört, sondern zu den Organismen, die in ihrer Lebensweise Eigenschaften von Tieren und Pilzen gleichermaßen vereinen und darum keiner der beiden Gruppen angehören. Der Lila Lackpilz ist essbar und war nach der Atomkatastrophe von Tschernobyl 1986 stark mit Cäsium belastet – wie Maronen auch. Der Steinpilz aber nicht. Bestimmte Symbiosen gehen zum Beispiel der Goldröhrling mit der Lärche oder der Rotbraune Scheidenstreifling mit der Buche, Eiche oder Birke ein. Der Kiefern-Braunporling wächst als „Parasit“ stets an den Wurzeln eines Nadelbaumes, im Lindhoop war es eine alte Lärche. Seit einigen Jahren sei der Schwarzweiße Faltenschirmling in Mitteleuropa heimisch geworden, weiß Pilzexperte Albers zu berichten. „Er kommt aus den tropischen Regionen zu uns.“ Für den Experten ist das ein schlechtes Zeichen: „Es wird halt immer wärmer“, sagt er. Zusammen mit Axel Schilling bereitet er einen Verbreitungsatlas für Pilze in Niedersachsen vor und hat an der 2016 erschienenen „Rote Liste der gefährdeten Großpilze Deutschlands“ mitgewirkt.
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