Verden/Bassum. Märchenerzählerin Brigitta Wortmann liebt den Verdener Weihnachtsmarkt. Nachdem sie dort vergangenes Jahr erfolgreiche Premiere gefeiert hat, zieht es sie in der Vorweihnachtszeit nun wieder in die Domstadt. Am dritten Advent, Sonntag, 11. Dezember, erzählt sie auf der großen Bühne Märchen zur Winterzeit. Ihre gut gefüllte Märchentruhe öffnet die Bassumerin ab 15 Uhr. Eine Stunde später zaubert sie den lütten Weihnachtsmarktbesuchern dann beim Kinderschminken ein Lächeln ins Gesicht.
Warum reist sie eigentlich extra aus Bassum zum Budenzauber und Lichterglanz auf dem Verdener Rathausplatz? „Der Verdener Weihnachtsmarkt ist der einzige weit und breit, der vier Wochen am Stück läuft. Außerdem schätze ich, dass dort kontinuierlich ein Kulturprogramm angeboten wird, woanders gibt es das ja nur punktuell. Auch die Bühne ist wirklich zauberhaft.“ Schlendert sie in der Adventszeit durch die festlich geschmückte Verdener Innenstadt, kommen bei der Märchenerzählerin nach eigenen Worten sofort „Weihnachtsgefühle“ auf.
Ja, die Bassumerin liest ihre Märchen (110 hat sie aktuell im Kopf) nicht einfach nur ab, sie erzählt sie frei, geht dabei immer ganz individuell auf das Publikum ein, was ihr meist andächtig lauscht. „Märchen entwickeln sich beim Erzählen, mal trage ich sie heiter, mal bedächtig und dann wiederum auch mal eher getragen vor“, verrät sie. Es sei eben doch ein Unterschied, ob sie nun vor Kindern oder vor Senioren auftrete. „Vor Senioren spreche ich langsam, ruhig und deutlich, vor den Lütten erzähle ich hingegen viel lebendiger, animiere sie zum Mitmachen. Das Wichtigste ist aber immer, dass ich mit ganz viel Melodie in der Stimme erzähle, Monotonie ist beim Märchenerzählen einfach tödlich“, weiß Brigitta Wortmann. Befinden sich Erwachsene im Publikum, kann sie sich ironische Bemerkungen meist nicht verkneifen, feuert auch schon mal den einen oder anderen Seitenhieb ab.
Sehnsucht nach der heilen Welt
Eines ihrer Lieblingsmärchen sei übrigens das von den drei Feigen. Es handelt von einem König, der von einem Dummling überlistet wird. „Am Ende eines Märchens siegt ja im Endeffekt doch immer das Gute, das Anständige“, freut sich die Bassumerin. Wortmann, die gerade ihren Master in Medienpädagogik macht, erklärt, warum alte Märchen für die Menschheit heutzutage wichtiger denn je seien: „Für Kinder wirken Märchen einfach moralbildend. Komplexe Inhalte können den Mädchen und Jungen damit auf verständliche Art und Weise näher gebracht werden, sind meist selbsterklärend.“ Bei ihren Auftritten habe sie gemerkt, dass vor allen Dingen Erwachsene eine große Sehnsucht nach einer heilen Welt verspüren würden. „Diese Sehnsucht wird im Märchen genährt.“
Seit acht Jahren tourt die gebürtige Oberbayerin nun schon als Märchenerzählerin durch die Mittelweser-Region. Ihre ständige Begleiterin ist dabei eine Dame namens Luise. Dabei handelt es sich aber weder um eine Freundin noch um eine niedliche Hündin, sondern vielmehr um eine Harfe, eine Hakenharfe wohlgemerkt. „Ich habe früher bei Assia Cunego in Achim Privatunterricht genommen“, erzählt die Märchenerzählerin, wie sie damals zum Harfenspiel gekommen sei. Neben Hakenharfe Luise nennt sie auch noch eine große Konzertharfe ihr Eigen, für die sie sich eigens ein größeres Auto anschaffen musste. Wie es sich für eine richtige Märchenerzählerin gehört, natürlich mit goldenem Krönchen auf der Motorhaube. „Luise hat oben einen Haken, wenn ich den umlege, verkürzen sich ihre Saiten und ich bekomme Halbtöne heraus. Somit kann ich dann alle gängigen Tonarten spielen.“ Luise, die spielend in eine Reisetasche passt, könne darüber hinaus auch Temperaturunterschiede wesentlich besser verkraften als ihre große, von einem Wachendorfer Harfenbauer gefertigte Doppelpedal-Harfe. „Bei ihr erzeuge ich die Halbtöne dann mit dem Pedal“, erzählt die Märchenerzählerin, die manchmal auch unter dem Künstlernamen Die Märchenharfe auftritt. Warum ist für sie Luise eigentlich schon seit Jahren eine so perfekte musikalische Begleiterin? „Durch Luises Klänge bekommen die Menschen einfach Zugang zu einer ganz anderen Welt“, weiß Brigitta Wortmann um die Wirkung ihrer Hakenharfe.
Neue Inspirationen erhält sie immer wieder durch ihre Mitgliedschaft in der Europäischen Märchengesellschaft. In ihrem privaten Märchenerzählkreis tauscht sie sich dann mit anderen Märchenerzählern aus. Am liebsten stöbert sie aber in verstaubten Antiquariaten nach weiteren Märchen. Hat sie früher noch vor ihren mittlerweile erwachsenen Kindern geprobt, entwickelt sie ihre Choreografie heute selbst. „Ein Märchen erreicht erst eine gewisse Reife, wenn ich es immer und immer wieder erzähle“, spielt die Märchentante auf die Gestik, die Mimik, ja die Pausen an, die sie in ihre Darbietungen stets miteinfließen lässt. Entführt sie ihr Publikum in fremde Welten, verzaubert sie die Zuhörer meist mit ihrer melodiösen Stimme. Das Jahr 2012 stand bei Brigitta Wortmann rückblickend ganz im Zeichen der Brüder Grimm, war doch 1812, vor 200 Jahren, das erste Märchenbuch von Jacob und Wilhelm Grimm erschienen. Ihre Passion fürs Märchenhafte sei schon von Kindesbeinen an geweckt worden, „ich hatte früher ganz viele Märchenplatten.“
Bevor sie am dritten Advent im Märchenkostüm in Verden auftritt, ist Brigitta Wortmann auch noch beim Eystruper Heimatverein zu Gast (4. Dezember, 15 Uhr, im alten Güterschuppen am Eystruper Bahnhof). „Ich hoffe, dass Petrus dieses Jahr etwas gnädiger zu mir ist. Im vergangenen Jahr hat es auf dem Verdener Weihnachtsmarkt so sehr geregnet, dass ich die Märchenfreunde erst noch unter das Vordach locken musste, damit sie mir lauschen konnten“, blickt sie schmunzelnd auf den Hüttenzauber 2015 zurück.