Süchte in der Gesellschaft sind omnipräsent. Gefahren, die in sie hineinführen auch. Die während Corona verordnete Arbeit im Homeoffice zum Beispiel habe in vielen Fällen zu einer Überbelastung berufstätiger Frauen geführt, die sich meistens nicht nur um ihren Job, sondern gleichzeitig um Kinder und Haushalt kümmern mussten. „Wer zudem in kleinen Wohnungen lebt, also räumlicher Enge und damit oft auch einem hohen Geräuschpegel ausgesetzt ist, kommt schnell an Grenzen, die schwer zu überwinden sind“, sagt Marina Hohenkamp. Seit einem Jahr leitet sie die Selbsthilfegruppe „Die Amazonen“, die in den Räumen der Fachstelle Sucht an der Feldstraße 2 regelmäßig zusammenkommt. „Der erste Schluck ist oft der Anfang vom Ende“ weiß die 62-Jährige, selbst betroffen und froh, dem Teufelskreis Alkohol wohl auf Dauer entkommen zu sein.
Um die Arbeit der Gruppe noch transparenter zu machen, lädt Hohenkamp zu einem offenen Frühstück für Frauen ein, zu dem am Mittwoch, 18. Mai, von 10 bis 12 Uhr all diejenigen willkommen sind, die sich für das Thema interessieren oder dem unverbindlichen Treffen eventuell ein Beratungsgespräch folgen lassen möchten. Der erste Schritt, sich selbst also zu öffnen und in das Innerste seiner Seele blicken zu lassen, stelle eine oft schwer zu überwindende Hürde dar. Scham und ein Mangel an Selbstwertgefühl trügen in entscheidendem Maße dazu bei, sich zu verstecken und sich somit kompetenter Hilfe zu entziehen. „Wir sind der Schweigepflicht unterworfen. Was bei uns besprochen wird, verlässt den Raum nicht“, verspricht die Gruppenleiterin ein Gefühl der Sicherheit, das in dem in hellen Farben konzipierten Versammlungsort schnell aufkommt. Süchte begrenzten sich im Übrigen nicht nur auf den Konsum von Alkohol, beschreibt Hohenkamp mit Spiel- und Medikamentensucht weitere Gefahren, auch Workaholics seien oft abhängig von der Anerkennung ihrer Umwelt.
Probleme der Angehörigen
Soll ich mich raushalten oder mich hineinbegeben in die erdrückende Problematik meines Angehörigen? Das ist eine Frage, die sich oft zusätzlich ergibt und damit ganze Familien belastet. So haben in der Vergangenheit auch Ehepartner oder Eltern die Fachstelle Sucht aufgesucht. Die Gruppenabende allerdings bleiben den „Amazonen“ vorbehalten, die sich auch gegenseitig unterstützen und in einer Whatsapp-Gruppe Kontakt halten. Immer wieder erlebe sie, beschreibt Marina Hohenkamp ihre Erfahrungen, dass aus anfänglicher Skepsis große Offenheit erwachse, und das Gefühl, im Kampf gegen Süchte etwas bewirken zu können, beflügele sie an jedem Tag. Aber auch Rückfälle gehören zum Alltag der Gruppe. Etwa 20 Prozent der Teilnehmer schaffen den Weg in eine cleane Zukunft nicht oder zumindest nicht auf Dauer. Der Kummer über das eigene Versagen führt dann oft zu Aggressionen, die nicht gedeckelt werden können und unkontrollierte Ausbrüche zur Folge haben. Toleranz und Mitgefühl seien dann gefragt, niemand werde ausgegrenzt.
Der Kampf gegen die Abhängigkeit endet nie, ist die Gruppenleiterin überzeugt. Zu sorglos werde in der Öffentlichkeit gerade mit dem Thema Alkohol umgegangen. Flachmänner im Kassenbereich der Supermärkte, Einladungen zu Sektfrühstück oder -empfang suggerierten, als gehöre der häufige Konsum von Wein, Bier oder Hochprozentigem zum normalen Leben. Sie rät dazu, ehrlich mit sich selbst zu sein und sich einer eventuell bestehenden Sucht zu stellen. Auch das Umfeld ist zur Wachsamkeit aufgerufen, denn oft bedeutet es für Betroffene eine Erleichterung, wenn sie angesprochen werden und Hilfe angeboten bekommen. Marina Hohenkamp ist nach eigenen Angaben da, wenn man sie braucht. Unter der Telefonnummer 01 72 / 9 20 50 57 ist sie erreichbar.
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