Wie gut, dass die Grube Messel bei Darmstadt einer großen Gefahr entkommen ist. Ab Beginn der 1970er-Jahre gab es starke Bestrebungen, genau dort eine Mülldeponie für die Rhein-Main-Metropolregion einzurichten. Eine Bürgerinitiative verhinderte den drohenden Untergang des stillgelegten Ölschiefer-Tagebaus, der sich längst als bedeutende Fundstelle von Fossilien aus dem Eozän erwiesen hatte. Sonst wäre die Grube Messel nicht 1995 als erstes deutsches Naturdenkmal in die Liste des UNESCO-Weltnaturerbes gelangt – und wäre auch nicht 2015 das fast vollständige Skelett des kleinen Urpferdhengstes entdeckt worden, das nun, wohlbehütet hinter Glas, im Deutschen Pferdemuseum (DPM) zu sehen ist.
Bei wissenschaftlichen Grabungen aus einer wahren „Schatzkiste der Evolution“ gehoben, bildet das 48 Millionen Jahre alte Originalfossil den Mittelpunkt der umfangreichen neuen Sonderausstellung. „Urpferd 2.0“ nimmt abenteuerwillige Besucherinnen und Besucher mit auf eine spannende „Reise zum Beginn unserer Welt“ und schlägt dabei auch den Bogen in die Gegenwart. Besonders im Begleitprogramm geht es auch darum, welche Erkenntnisse sich aus den reichhaltigen Messel-Funden für die Ökosysteme der Zukunft ziehen lassen. Bei der Ausstellung handelt es sich um eine Leihgabe des Hessischen Landesmuseums Darmstadt. Für die Präsentation im DPM wurde sie durch Exponate einer speziellen Eozän-Dokumentation ergänzt, die vom Museum für Natur Hamburg stammt, ehemals Zoologisches Museum und Teil des Leibniz-Instituts zur Analyse des Biodiversitätswandels.
Lob für Engagement
Eine gelungene Koppelung, wie auch bei der Eröffnung im Kreis geladener Gäste immer wieder anklang. Dieter Medow, Nachfolger des im vergangenen Jahr verstorbenen Rainer Kiel als Vorstandsvorsitzender des DPM-Trägervereins, lobte vor allem das besondere Engagement der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Museums. Die Idee der kombinierten Ausstellung sei „vor Ort sehr toll umgesetzt“ worden. Das Lob freute nicht zuletzt die wissenschaftliche Leiterin Christine Rüppell, die ihrerseits nur Positives über die Zusammenarbeit mit den beiden beteiligten Museen in Darmstadt und Hamburg zu berichten hatte. Die zur Verfügung gestellten Bestandteile ergänzten sich perfekt.
Dass das Pferdemuseum den Fokus auf das erst vor acht Jahren zutage geförderte Urpferdchen richtet, versteht sich von selbst. Das in der Grube nahezu komplett bewahrte Knochengerüst des Propalaeotherium voigti, einer relativ seltenen Urpferdeart, gilt als spektakulärer Fund und hat die Vergangenheitsforscher nicht ruhen lassen. Was dabei herausgekommen ist, erläuterte Professor Torsten Wappler persönlich. Der Leiter der Abteilung Naturgeschichte des Hessischen Landesmuseums, gleichzeitig Kurator Erd- und Lebensgeschichte und Grube Messel, sieht in dem gerade fuchsgroßen Urpferdhengst den „Hauptakteur“ der Ausstellung.
Digitale 3D-Modelle gefertigt
Das „Super-Skelett“ setzte vieles in Gang, buchstäblich. So sind mit Hilfe hochauflösender Computertomografien und 3-D-Animationen Modelle und virtuelle Rekonstruktionen entstanden, die zeigen, wie die Urpferde einst ausgesehen und sich bewegt haben könnten – während des Eozäns, etwa 34 bis 56 Millionen Jahre vor unserer Zeit. Aus erdgeschichtlicher Sicht „war das gestern“, rückte Wissenschaftler Thorsten Wappler, studierter Geologe und Paläontologe, die Dimensionen zurecht. „Urpferd 2.0“ hat bislang nicht nur in Darmstadt zahlreiche Interessierte angelockt, sondern auch in Bonn, wo im vergangenen Jahr einige Monate das Museum Koenig Schauplatz war. Man sei „total stolz“, dass die Ausstellung jetzt im Deutschen Pferdemuseum angekommen sei, so Wappler: „Damit werden wir geadelt“.
Der lütte Hengst ist zwar ein Highlight aus den Tiefen der einstigen Bergbaugrube Messel, aber insgesamt kein Einzelgänger. Schon 1911 war beim Abbau der alten Gesteine, zwecks Gewinnung von Mineralölprodukten, nach etlichen anderen Fossilien das erste Urpferd ans Tageslicht gekommen. Bis heute summiert sich die Zahl der entdeckten Skelette auf etwa 70, von denen 60 fast vollständig erhalten sind. Da gibt es kein Vertun: Die Grube Messel, der das Schicksal Müllkippe drohte, ist weltweit die wichtigste Fundstelle für Pferdchen aus dem Eozän. Benannt ist es übrigens nach Eos, der griechischen Göttin der Morgenröte.
Multimediale Einblicke
Die Ausstellung, die bis Ende Oktober läuft, gewährt „multimediale Einblicke in die vielfältige Lebenswelt dieser Zeit“. Dabei geht es unter anderem um die damalige Anordnung der Kontinente, Klima- und Weltbedingungen sowie Fauna und Flora. Mitteleuropa war von Dschungel bedeckt, große Bereiche Norddeutschlands standen unter Wasser, es war tropisch warm. Ein eindrucksvolles Bild davon lässt sich im großen Sonderausstellungsraum des Museums gewinnen, der für die neue Ausstellung teilweise aufwendig umgestaltet werden musste.
Neben dem Hinschauen empfiehlt sich auch das Hinhören. Haste Töne? Ja, dafür hat das Hamburger Museum gesorgt, indem es „Geräusche des Messeler Regenwaldes“ im Eozän nachempfand und wieder aufklingen ließ. Da quakt eine Knoblauchkröte, zirpt eine Laubheuschrecke, stoßen Papageien und Tapire ihre Rufe aus, und eine Fledermaus fällt auch noch in das bizarre Konzert ein. Eine durchaus angenehme Geräuschkulisse auch beim Studium der Schrifttafeln und beim Betrachten der Stücke des Baltischen Bernsteins, in denen zum Beispiel Insekten konserviert sind.
Weitere Informationen zur Ausstellung und zum Begleitprogramm gibt es unter www.dpm.de.