Das war vorhersehbar und zugleich sehr willkommen: Aus "Festival aufm Platz" wurde "Festival mitm Platzregen", und niemand nahm das schwer. Die lang ersehnte Erquickung am Freitagabend wirkte sogar wie eine gekonnte Inszenierung der Organisatoren, und die Kulturveranstaltung der Sparkassenstiftung auf dem Rathausplatz ging einfach eine halbe Stunde später über die Bühne. Und selbst das "Davor" war ein Ereignis für sich.
Als das Gewitter losging, suchte sich jeder ein trockenes Plätzchen, und in all den kleinen Nischen rund um den Rathausplatz ergaben sich Gespräche und vergnügte Begegnungen. Freundliche Helferinnen verteilten Regenponchos, mit denen das Publikum später auf den nassen Stühlen trocken blieb. Ein Besucher, der als einziger unter seinem Regenschirm sitzen geblieben war, um "seinen Platz trocken zu halten", musste schließlich kapitulieren, weil auch der Schirm das tat.
Längst nicht alle Plätze vor der Bühne waren schließlich besetzt. Einige hatten wohl das Gewitter nicht abwarten wollen, andere hatten sich aufgrund der drastischen Vorhersagen gar nicht erst hergetraut. Doch für die, die geblieben waren, hat es sich gelohnt.
Einzigartige Klanggestaltung
Das Signum Saxophone Quartet ist einzigartig in seiner orchestralen, an der Klassik orientierten Klanggestaltung, und mit dieser Kombination aus vielschichtig differenziertem Ensembleklang und größter solistischer Meisterschaft der einzelnen Musiker erlebte das Publikum ein bei seiner Kürze dennoch wirklich großes Konzert.
Sechs Bagatellen von György Ligeti boten dem Quartett Gelegenheit, sein virtuoses Können ebenso wie seinen besonderen Klangzauber in alle Richtungen auszuleuchten. Mit Blaz Kemperle (Sopransaxophon), Hayrapet Arakelyan (Altsaxophon), Alan Luzar (Tenorsaxophon) und Guerino Bellarosa (Baritonsaxophon) war beinahe die ganze Saxophonfamilie vertreten. Mal elegisch, mal voll ungebärdiger Synkopensprünge, entfaltete sich die farbkräftige Tonsprache Ligetis mit meisterhafter Virtuosität und dynamischer Hochspannung.
Wortakrobatische Texte
Passend zu der kleinen Konzertreise des Quartetts trug die Slam-Poetin Leticia Wahl, die auch sonst als Reisepoetin mit ihren Spoken-Word-Texten im ganzen Land unterwegs ist, zwischen den Musikstücken einige ihrer wortaktrobatischen Texte vor. Als Erstes gab es eine "Hommage an Erich Kästner". Darin lobte sie ihr literarisches Vorbild für seine knapp abgemessene und meisterhaft pointierte Lyrik mit einem Text, der über vier Minuten ging und mit sehr, sehr vielen Worten viel Persönliches über Leticia Wahl und wenig Fundiertes über Kästner sagte. Große Teile des Vortrags, gerade auch die "Hommage", ist übrigens auch auf der Videoplattform Youtube zu sehen. Der eigentliche Sinn der Slam Poetry, die Sprachakrobatik aus dem Stegreif, war hier also nicht anzutreffen. Das spontan wirkende Programm war bis aufs letzte Wort einstudiert – umso mehr irritierte die oft recht unsichere Grammatik.
Eine kleine Anekdote aus ihrer Arbeit mit Kindern, in der es ums "Verdichten" ging, handelte von der großen Kunst, sehr viel mit sehr wenig Worten zu sagen. Das nächste Gedicht handelte von Liebe – wieder sehr persönlich, sehr wortreich und sehr, sehr lang, ebenso wie ein Text über Krieg und Elend, über das Leid der Menschen und die alltäglichen Gefühle der Hilflosigkeit. Das war ehrlich und empfindsam, aber auch wenn sich einiges am Ende der Sätze stabreimte, hatte man es weniger mit Lyrik beziehungsweise Poetry als eben mit einem wortreichen, tief betroffenen Statement zu tun.
Mit drei für Saxophon-Quartett eingerichteten Sätzen der Klavier-Suite "Le Tombeau de Couperin" von Maurice Ravel entstand nun ein sehr homogener, sinfonischer Klang. Das Sopran-Saxofon sang wie eine Querflöte über dem wirklich verdichteten, meisterhaft umgesetzten Orchestersatz. Das war reinste Philosophie, und das ganz ohne Worte.
Schmerzliche Leidenschaft
Zwei Weltmusik-Stücke mit den Titeln "Sarajewo" und "Addis Abbeba", eigens für Saxophon-Quartett komponiert, begeisterten mit wilder, oft schmerzlicher Leidenschaft und einer Klangsymbiose aus der Folklore des Balkan beziehungsweise orientalischen Anklängen, aus klassischen und Jazz-Elementen – faszinierend und wieder atemberaubend virtuos. Guerino Bellarosa ließ das Mundstück seines Baritonsaxophons schnappen, sodass er tiefe, wummernde Töne erzeugte, die das Zwerchfell vibrieren ließen. So machten die Musiker aus ihren vier scheinbar gleichartigen Instrumenten eine ganze Klangwelt vielfältigster Ausdrucksmöglichkeiten.
Mit einer hingebungsvollen Interpretation von Albinonis bekannten "Adagio" bewies das geniale Quartett einmal mehr, dass es in einfach jedem Genre überzeugen kann, und ein albanischer Folk-Song ließ das kleine Konzert mit mitreißender Balkan-Folklore ausklingen. Trotz der "abgespeckten Version" des Festival-Formats darf man bei kommenden Events der Sparkassenstiftung wohl auch weiterhin mit Erlesenem rechnen.