Scheinbar leicht wie eine Feder schwebt ein Bootsrumpf hoch über den Köpfen einiger Männer, die ihn an Tauen in die richtige Bahn lenken. Doch eine Feder ist der Torso nicht: 30 Tonnen Aluminium hängen auf der Fassmer-Werft am Donnerstagmorgen an zwei Gurten am Haken eines Schwerlastkrans. Die Werft dreht einen Rumpf, aus dem bis zum Frühjahr 2020 der neueste Seenotrettungskreuzer der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS) werden wird.
Noch zwei Stunden zuvor lag der silberne Koloss kopfüber, also Kiel oben, auf der Baulehre, einem rötlichen Gerüst, in Halle 2 des Werftstandorts Bardenfleth. Dort hatten ihn die Berner Schiffbauer und Schweißer seit März dieses Jahres aus vielen Einzelteilen zusammengesetzt. Zuvor war der Kreuzer, der am 19. April 2020 neben der Elbphilharmonie auf den Namen „Hamburg“ getauft werden soll, am Jungfernstieg an der Binnenalster auf Kiel gelegt worden. „Die erste Kiellegung außerhalb der Werft“, berichtet DGzRS-Pressesprecherin Antke Reemts. Mit dem Auswärtsspiel habe die Rettungsgesellschaft ihre Verbundenheit mit der Hansestadt zum Ausdruck bringen wollen.
Der Wind hat aufgefrischt. Wird bei der Drehung alles gut gehen? Gerade verlängern und verkürzen die beiden Kranführer die Ketten und Taue derart, dass sich der Rumpf auf einer Seite absenkt. Jetzt hängt er in absoluter Schieflage. Antke Reemts beobachtet das mit Sorge. Doch Fertigungsleiter Jens Niebank ist die Ruhe selbst. „Die ,Hamburg' ist das vierte Schiff dieser 28-Meter-Serie. Da haben wir schon ein bisschen Übung“, merkt der 62-Jährige an. „Beim zweiten Schiff hatten wir versucht, es mit Manneskraft zu halten. Da sind die Leute fast mitgelaufen. Deshalb stehen jetzt von Anfang an Gabelstapler zur Verfügung.“
Und die werden an diesem Vormittag auf dem offenen Vorplatz auch gebraucht, denn der Wind bläst mit rund vier Metern pro Sekunde. „Windböen sind echt interessant“, sagt Olaf Tülp, während er eines der Führungsseile hält. Dem Schweißmeister sind diese Wetterbedingungen aber lieber als die rund 30 Grad und Sonnenschein, die einen Tag zuvor herrschten. Nur noch kräftigerer Wind wäre ungünstig für das Vorhaben gewesen. „Bei Sturm hätten wir den Rumpf nicht gedreht“, stellt Tülp klar.
Bisheriger Verlauf war komplikationslos
Die Drehung eines Rumpfes ist für die Werftarbeiter immer wieder ein besonderer Moment. Für den Kunden sei sie sogar etwas Außergewöhnliches, sagt Fertigungsleiter Niebank. „Das ist ein Meilenstein, weil viele Arbeiten wie das Aufsetzen des Deckshauses, des Schanzkleids oder des Schornsteins erst stattfinden können, wenn das Schiff gedreht ist.“ Die aktuelle Drehung verläuft komplikationslos. „Wir sind sogar ein wenig vor dem Zeitplan“, stellt Niebank erfreut fest, während ein mobiler Träger auf Schienen den Neubau in die große Halle des Bardenflether Fassmer-Betriebsteils manövriert.
Die längste Zeit des Vormittags hatten Werftarbeiter und Mitarbeiter des Schwerlastunternehmens damit verbracht, den Rumpf sicher zu vertauen und für den Transport vorzubereiten. Meter für Meter hatte sich der Tieflader anschließend um die Halle 2 herum zum Drehplatz vorgearbeitet. Ein zweiter Mitarbeiter lenkte die hinteren Achsen per Fernsteuerung um die Ecken herum.
Auf der leeren Baulehre in Halle 2 wird schon bald der nächste Rumpf seinen Platz finden, denn die „Hamburg“ ist das vierte Schiff einer sechsteiligen Serie. Niebank blickt bereits dem nächsten Höhepunkt entgegen: dem Stapellauf. In circa vier Wochen soll die „Hamburg“ erstmals zu Wasser gelassen werden. Dann geht es zur Endausrüstung nach Motzen.
Nach 35 Jahren Pause wird nun wieder ein Seenotrettungskreuzer der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger den Namen der Hansestadt an der Elbe tragen. Damit würdigt die DGzRS, laut Pressesprecherin Reemts, die langjährige Verbundenheit der Hamburger mit den Seenotrettern. Sie hofft, dass sich viele Einwohner und Freunde der Stadt an der Finanzierung des Neubaus beteiligen. Das moderne Spezialschiff wird ab 2020 von der westlichsten DGzRS-Station Borkum aus im Einsatz sein.
Jetzt sichern: Wir schenken Ihnen 1 Monat WK+!