Berne. Die Oberschule Berne wird Zeitzeugenschule. Im Rahmen ihrer Erinnerungsarbeit hat die Bildungseinrichtung vor rund viereinhalb Jahren eine Patenschaft für den jüdischen Friedhof an der Weserstraße übernommen. Zum Jahreskalender der Schule gehört zudem seit 2011 der Besuch von Michaela Vidláková. Stets im Januar berichtet die 83-jährige Jüdin den Schülerinnen und Schülern, wie sie das Konzentrationslager Theresienstadt überlebt hat.
Der Nationalsozialismus und die Judenverfolgung sind Themen des Geschichtsunterrichts des neunten Jahrgangs an der Oberschule in Berne. Lehrerin Cornelia Josephs ist froh, dass sie bei der Bearbeitung des Themas nicht nur auf Schulbücher zurückgreifen muss. In Berne kann sie den Unterricht mit Informationsmaterial über einst in Berne ansässige Juden anreichern. Auf diese Weise kann der Unterricht personalisiert und für die Jugendlichen greifbar gemacht werden.
Ein Beispiel jüdischen Lebens in Berne ist die Familie Koopmann. Sie betrieb 147 Jahre lang in der heutigen Spielbank an der Langen Straße eine Manufakturwarenfabrik. Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 änderte sich das Leben der jüdischen Mitbürger allerdings auf dramatische Weise. Ihre Geschäfte wurden boykottiert, sie wurden aus Vereinen ausgeschlossen und schließlich sogar deportiert und ermordet. Am 15. Juli 1942 wurde beispielsweise die damals 72-jährige Ida Koopmann aus ihrem Haus abgeholt und ins Konzentrationslager nach Theresienstadt gebracht, wo sie wenige Monate später starb. Ob sie dort Michaela Vidláková aus Prag kennenlernte, ist nicht bekannt.
Die 83-Jährige, die immer noch in ihrer Geburtsstadt lebt, kommt einmal im Jahr in die südliche Wesermarsch. Da der Kontakt zu Zeitzeugen seit zehn Jahren an der Oberschule Berne großgeschrieben wird, hat sich die Bildungseinrichtung um den Titel „Zeitzeugenschule“ des Vereins Heimatsucher beworben. Am Sonntag, 26. Januar, wird ihr im Rahmen einer kleinen, öffentlichen Feierstunde die offizielle Plakette verliehen. Zwischen 11.30 und 13 Uhr werden Schüler aus ihren Ergebnissen eines Workshops vortragen und musizieren.
Der Verein Heimatsucher hilft Schulen, auf ganz eigene Weise Erinnerungen an die Schoah, den Holocaust, zu bewahren. In Workshops bildet er Kinder und Jugendliche zu sogenannten Zweitzeugen aus. In Berne können die Neuntklässler als Zweitzeugen aus dem Leben Michaela Vidlákovás erzählen. Sie wissen von der Kindheit Vidlákovás, die 1936 in Prag geboren wurde, durch die Schreckensherrschaft der Nazis geprägt und ins Konzentrationslager Theresienstadt deportiert. Die Schüler können berichten, dass Michaela Vidláková und ihre Familie Glück im Unglück hatten, denn der Vater galt als wertvoller Handwerker, weshalb die Familie nicht in einem der vielen Züge nach Osten in ein Vernichtungslager transportiert wurde.
Eindringliche Appelle an die Schüler
Die Zeitzeugin weist die Jugendlichen stets eindringlich darauf hin, dass es wichtig ist, über Antisemitismus und Rassismus Bescheid zu wissen, und noch wichtiger, etwas dagegen zu tun und nicht wegzuschauen. „Die Schüler sind jedes Mal sehr betroffen“, fasst Pädagogin Cornelia Josephs die Zeitzeugengespräche zusammen. In dem Workshop mit dem Verein Heimatsucher haben Berner Jugendliche Briefe an noch lebende Zeitzeugen geschrieben. Persönliche Antworten werden sie vermutlich nicht erhalten. Über den Verein können sie aber an alle Absender gerichtete Videobotschaften der angeschriebenen Holocaust-Überlebenden anschauen.
Vor Ort können sich die Berner Oberschüler anhand des kleinen jüdischen Friedhof an der Weserstraße mit diesem Teil der deutschen Geschichte auseinandersetzen. Die sechs Grabsteine stellen neben dem Friedhof in Ovelgönne die einzige jüdische Grabstätte in der Wesermarsch dar.