Die ersten Apotheken in Niedersachsen und Bremen melden bereits Lieferprobleme. Die Freigabe von Cannabis zu medizinischen Zwecken im vergangenen März hat bei betroffenen Patienten einen regelrechten Boom ausgelöst. Mehr als 13 000 Anträge auf Kostenerstattung sind bei den gesetzlichen Krankenkassen inzwischen eingegangen. Mit den Folgen des legalisierten Drogenkonsums für die Sicherheit auf den Straßen beschäftigt sich in der nächsten Woche der Verkehrsgerichtstag in Goslar. Therapeutische Ziele dürften nicht zu einer juristischen Bevorzugung von Autofahrern führen, die Cannabis auf Rezept konsumierten, warnen Experten.
„Für die Feststellung der Verkehrssicherheit macht es aus toxikologischer Sicht keinen Unterschied, ob vor Antritt der Fahrt Cannabisblüten aus der Apotheke oder Cannabisblüten aus dem Coffeeshop geraucht wurden“, erklärt der Düsseldorfer Rechtsmediziner Thomas Daldrup im Gespräch mit dem WESER-KURIER. Die benebelnde Wirkung sei in beiden Fällen schließlich dieselbe. Es könne nicht sein, dass derjenige, der regelmäßig Cannabisblüten rauche, nur deshalb fahrgeeignet sei, weil die Krankenkasse die Kosten für das Betäubungsmittel übernehme. Daldrup, Referent im Goslarer Cannabis-Arbeitskreis, kritisiert die gesetzlich erlaubten Abgabemengen als zu hoch und die Darreichungsform in getrockneten Blüten als zu gefährlich. „Weder äußerlich noch analytisch lässt sich medizinisches Cannabis von dem auf der Straße erhältlichen Produkten zweifelsfrei unterscheiden.“ Auch die Untersuchung von Blut oder Urin führe zu keiner Klärung.
Das Straßenverkehrsgesetz drückt dagegen ein Auge zu. Paragraf 24 a, der neben dem Fahren mit mehr als 0,5 Promille Blutalkohol auch Fahren unter Drogeneinfluss als Ordnungswidrigkeit ahndet, enthält ein medizinisches Privileg: Geldbuße, Fahrverbot und Punkte in Flensburg werden nicht fällig, „wenn die Substanz aus der bestimmungsgemäßen Einnahme für einen konkreten Krankheitsfall verschriebenen Arzneimittels herrührt“. Anders als bei Tabletten, deren Dosis ein Arzt klar verordnet habe, sei der bestimmungsgemäße Gebrauch beim Rauchen eines medizinischen Joints aber kaum zu belegen, bemängelt der Rechtsmediziner, der Mitglied der beim Bundesverkehrsministerium angesiedelten Grenzwertkommission ist.
Beim Führerscheinentzug wegen mangelnder Fahreignung dürften die Behörden ebenfalls nicht differenzieren, mahnt Klaus Borgmann, Vorsitzender des für Führerscheinfragen zuständigen 11. Senats des Bayrischen Verwaltungsgerichtshofs (VGH): „Es gibt keinen Grund, Cannabis-Patienten gegenüber sonstigen Cannabis-Konsumenten im Fahrerlaubnisrecht zu privilegieren.“ Dort gehe schließlich darum, andere Verkehrsteilnehmer zu schützen. „Aus deren Sicht macht es keinen Unterschied, ob sie von jemanden angefahren werden, der Cannabis zum Vergnügen konsumiert oder aus medizinischen Gründen einnimmt.“
Der Verkehrsgerichtstag diskutiert außerdem über präzisere Grenzwerte für die Cannabis-Substanz THC und den Umgang mit Gelegenheitskiffern. Für diese ist bislang schnell mit dem Autofahren Schluss – selbst wenn nichts passiert: Ein Drogenkonsument, den die Polizei erstmalig beim Fahren unter Cannabis-Einfluss erwischt, ist seinen Führerschein in der Regel sofort los. Er gilt bei den Behörden automatisch als „charakterlich ungeeignet“ zum Führen von Motorfahrzeugen. Die von der Behörde entzogene Fahrerlaubnis erhält er nur wieder, wenn er eine mindestens sechsmonatige Abstinenz durch entsprechende Drogenscreenings nachweist und zudem erfolgreich eine medizinisch-psychologische Untersuchung (MPU), im Volksmund Idiotentest genannt, besteht. Mit Alkoholsündern dagegen geht der Staat deutlich milder um.
1,09 Promille kostet nicht den Führerschein
„Die können sich jeden Tag munter die Hucke vollsaufen und sich sogar damit brüsten“, beklagt der Oldenburger Verkehrsanwalt Frank-Roland Hillmann. Bis zu einem Blutalkoholwert von 1,09 Promille schreite die Fahrerlaubnisbehörde nach einer ersten von der Polizei festgestellten, folgenlosen Trunkenheitsfahrt nicht ein, sie ordne noch nicht mal eine MPU an. Dem erwischten Fahrer drohe neben dem üblichen Bußgeld von 500 Euro und zwei Punkten in Flensburg lediglich ein Monat Fahrverbot. Mit einem längeren Führerscheinentzug müsse er nur bei Fahrfehlern, ab 1,1 Promille oder frühestens nach dem zweiten Verstoß rechnen. „Das ist doch nicht mehr normal“, kritisiert der Fachanwalt, der sich als Referent in Goslar für mehr Gerechtigkeit zwischen Kiffern und Säufern einsetzen will.
Schützenhilfe bekommt Hillmann ausgerechnet aus Bayern. Der dortige Verwaltungsgerichtshof hat im vergangenen April für zwei Kiffer den von der Rechtsprechung in allen andern Bundesländern abgesegneten Automatismus aufgebrochen. Bei einer erstmaligen Fahrt unter Cannabis-Einfluss dürften die Behörden nicht ohne weitere Aufklärungsmaßnahmen von fehlender Fahreignung ausgehen, entschieden die Münchner Richter in zweiter Instanz. Die Urteile dürften aber keinesfalls als Freibrief verstanden werden, warnt Senatsvorsitzender Klaus Borgmann mit Blick auf einige Jubelkommentare in Internetforen. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung hat der VGH eine Revision zugelassen; das letzte Wort hat nun das Bundesverwaltungsgericht.
Der Verkehrsgerichtstag beschäftigt sich außerdem mit höheren Bußgeldern für Verkehrssünden. „Heilmittel oder Abzocke?“ lautet dazu die provokante Frage. In weiteren Arbeitskreisen stehen Haftungsprobleme beim Automatisierten Fahren, Unfallansprüche Schwerstverletzter und Probleme mit dem Fahrerflucht-Paragrafen auf dem Programm. Rund 2000 Experten von Polizei, Justiz, Behörden, Medizin, Versicherungswirtschaft und Automobilklubs werden in Goslar erwartet. Die Empfehlungen des Gremiums haben in der Vergangenheit immer wieder Eingang in Gesetz und Rechtsprechung gefunden.