Die ältere Dame aus Braunschweig bekam einen gehörigen Schrecken. Im Briefkasten lag der Einschüchterungsbrief eines Inkassobüros. Waren im Wert von 65,85 Euro sollte die Frau, die das Internet gar nicht nutzt, bei einem Online-Versandhändler bestellt, aber nicht bezahlt haben. Nun sollte die Seniorin mit Verzugszinsen und Gebühren plötzlich 302,94 Euro berappen.
Die Firma drohte den Hausbesuch eines Mitarbeiters samt „notwendiger Ermittlungsmaßnahmen vor Ort“ sowie die Zwangsvollstreckung an: „Halten Sie bitte Bargeld in entsprechender Höhe bereit.“ Einen Monat später folgte ein ebenso bedrohliches Mahnschreiben. Die Braunschweigerin wandte sich an die Verbraucherzentrale Niedersachsen (VZ).
Die Berater dort vermuteten einen Identitätsdiebstahl, halfen sofort weiter: kein Vertrag, kein Geld, also Forderung zurückweisen, lautete die Empfehlung. Die Masche ist leider kein Einzelfall. „Beschwerden über Inkassoforderungen häufen sich“, berichtete VZ-Geschäftsführerin Petra Kristandt am Mittwoch in Hannover. „Verbraucher werden mit unzulässigen Androhungen gezielt eingeschüchtert.“
Es sei verboten, Geld über Außendienstmitarbeiter an der Haustür einzutreiben; die Zwangsvollstreckung könne nur mit gerichtlicher Anordnung erfolgen. Angesichts überbordender Gebühren forderte Kristandt ein gesetzliches Limit für Inkassokosten. Für Betroffene bietet die VZ seit Februar im Internet (www.verbraucherzentrale-niedersachsen.de) einen kostenlosen „Inkasso-Check“ plus „Musterbrief-Generator“ an.
Nach Beantwortung einiger Fragen bekommen Verbraucher das passende Antwortschreiben auf die dubiosen Forderungen. Der Bedarf ist da: 15.000 Mal wurde bereits durch die Seite geklickt. 2017 suchten über 76.000 Verbraucher den Rat der VZ-Experten, persönlich in einer der elf Beratungsstellen im Land, telefonisch und zunehmend auch online.
Neu im Angebot ist die Beratung per Videochat, bei dem die von Abzocke Betroffenen auch ihre Unterlagen in die Kamera halten können. 1000 Mal wurde der während der Testphase kostenlose Service, der laut Kristandt verschlüsselt über Server in Deutschland läuft, in den ersten drei Monaten beansprucht – darunter gab es auch zwei Anfragen aus Neuseeland und Brasilien. Den deutschen Urlaubern, die Ärger mit Mietwagen und Ferienunterkunft hatten, konnte von Hannover aus geholfen werden.
Immer wieder Ärger durch Telefon-Verträge
Dauerbrenner hierzulande sind vor allem betrügerische Schlüsseldienste. 140 Beschwerden registrierte die VZ allein im ersten Halbjahr 2018. So sollte eine Frau in Hannover 950 Euro für ihr Missgeschick bezahlen. Sie hatte an einem Montagmorgen ihre Wohnungstür zugezogen, ohne den Schlüssel mitzunehmen. Die Handwerker, die sie im Internet gefunden und telefonisch beauftragt hatte, drängten die Seniorin massiv zum Bezahlen mit der EC-Karte.
Dabei betragen in Niedersachsen die normalen Sätze für Notöffnungen tagsüber an Werktagen rund 70 Euro, nachts und an Sonntagen 111 Euro. Von „kriminellen Vereinigungen“ spricht die VZ in Bezug auf bundesweit agierende Unternehmen in Essen und Düsseldorf. Sie rät dazu, sofort die Polizei zu rufen: „Ist die Rechnung erst einmal bezahlt, ist das Geld in der Regel verloren.“
Tipp: Auf der Internetseite des Landeskriminalamtes findet sich eine Liste mit seriösen Schlüsseldiensten. Ärger bereiten immer wieder auch untergejubelte Telefon-Verträge. Eine Kundin, die eigentlich nur ihr Prepaid-Handy aufladen lassen wollen, verließ den Mobilfunk-Shop in Hannover mit einem völlig neuen Festnetzvertrag samt Internetrouter.
Den alten Anschluss werde sie bald nicht mehr nutzen können, hatte ihr der Verkäufer vorgegaukelt. In den folgenden 24 Monaten hätte sie 960 Euro dafür hinblättern müssen – mehr als doppelt so viel wie nach ihrem bisherigen Tarif. Erst auf Intervention der VZ stornierte der Anbieter den neuen Vertrag. Solche unseriösen Praktiken kämen bei nahezu allen Telekommunikationsunternehmen vor, warnte Verbraucherschützerin Kristandt. 23 Prozent aller Beratungen beträfen solche Fälle. „Das passiert leider sehr oft.“
Weitere Schwerpunkte der VZ-Tätigkeit betrafen neben überzogenen Beitragsforderungen von Krankenversicherungen Tipps für eine vernünftige Altersvorsorge. „Lasst Euch unabhängig beraten, Ihr müsst es richtig machen“, appellierte Kristandt an die Verbraucher. Ihr Beispiel: Ein 35-Jähriger hatte für sein Wohneigentum einen Immobilienkredit über 225.000 Euro mit einer monatlichen Rate über 850 Euro aufgenommen. Gleichzeitig zahlte er 150 Euro in seine private Altersvorsorge ein.
„Das war ein strategischer Fehler“, sagte die VZ-Chefin. Diese insgesamt 1000 Euro hätte er lieber komplett in die Immobilienfinanzierung stecken sollen, rechnete sie vor: Statt mit 67 wäre der Mann schon mit 59 Jahren schuldenfrei. Damit hätte er nicht nur 32.900 Euro an Kreditzinsen gespart, sondern könnte ab 59 Jahren die 1000 Euro für die Vorsorge aufbringen. So würde die monatliche Rente ab 67 dann 313 Euro betragen. Im aufgeteilten Modell wären es lediglich 185 Euro.
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