Herkules-Aufgabe für die Kommunen
Die Aussteller der Ausbildungsbörse in der Sporthalle der berufsbildenden Schulen in Verden mussten ihre Stände am Donnerstag abbauen. Die Halle wird anderweitig gebraucht. Schon einen Tag, nachdem Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) den Unterbringungsnotstand für Flüchtlinge erklärt hatte, waren die Konsequenzen in Landkreisen und kreisfreien Städten zu sehen. 350 Flüchtlinge sind zum Beispiel dem Landkreis Verden in drei Gruppen bis kommenden Mittwoch angekündigt worden. 250 von ihnen werden in den Sporthallen des Berufsbildungszentrums untergebracht. Für weitere 100 Flüchtlinge wird noch nach einer
Lösung gesucht.
Was die Sache noch komplizierter macht: Die Flüchtlinge, die im Rahmen des von Pistorius angeordneten Amtshilfeverfahrens für einige Wochen in kommunalen Notunterkünften untergebracht werden müssen, sind nicht registriert. Das bestätigte am Donnerstag der Sprecher des Innenministeriums, Philipp Wedelich. Demnach werden die Flüchtlinge, die auf verschiedenen Wegen nach Deutschland gekommen sind, nach Niedersachsen gebracht und gelangen in Bussen – an den überfüllten Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes vorbei – direkt in die Städte und Gemeinden.
„Die Registrierung übernehmen wir“, sagte der Verdener Landrat Peter Bohlmann – ebenso wie die Erstuntersuchungen, sonst wäre es unverantwortlich, die vielen Leute in Sammelunterkünften unterzubringen. „Da können Sie mal sehen“, fügte er augenzwinkernd hinzu, „wie wichtig kommunale Krankenhäuser sind.“
Nach dem Hilferuf des Landes bereiten sich viele Landkreise und Städte auf die Aufnahme von insgesamt 4000 Flüchtlingen vor. Als letztes Mittel gegen die drohende Obdachlosigkeit im Winter sollen kurzfristig kommunale Notunterkünfte im ganzen Land eingerichtet werden. Von Freitag an werden die Flüchtlinge auf Landkreise und kreisfreie Städte verteilt. „Privaten Wohnraum zu beschlagnahmen, ist jedoch derzeit keine Überlegung“, sagte Innenminister Pistorius am Donnerstag im Landtag.
Im Landkreis Rotenburg erwartet man 300 Flüchtlinge über den normalen Verteilungsschlüssel für Kommunen hinaus. Dort will man die Menschen für fünf Wochen in der Kaserne Lehnsheide in Visselhövede einquartieren, die derzeit unter Hochdruck für diesen Zweck hergerichtet wird. Man helfe gern, erklärte der Rotenburger Landrat Hermann Luttmann. Offenbar habe das Land nicht langfristig geplant und die Situation nicht mehr im Griff.
Delmenhorst richtet sich bis Sonnabend auf 100 Flüchtlinge ein. In der kommenden Woche sollen weitere 100 kommen. Der Landkreis Oldenburg bringt 300 Flüchtlinge in den Sporthallen des Wildeshauser Gymnasiums und der berufsbildenden Schulen unter.
Der Landkreis Wesermarsch richtet in der Jugendherberge Nordenham seine erste zentrale Notaufnahmeeinrichtung ein. Bereits am Sonnabend werden dort 100 Flüchtlinge erwartet. Sie werden registriert und anschließend unter der Verantwortung des Kreisgesundheitsamtes medizinisch untersucht. Betrieben wird die Erstaufnahmeeinrichtung des Landkreises von der Johanniter Unfallhilfe. Für weitere rund 100 Flüchtlinge, die in der nächsten Woche in die Wesermarsch kommen sollen, konnte die Kreisverwaltung auf die ehemalige Außenstelle des Gymnasiums Brake als Erstaufnahmeeinrichtung zurückgreifen.
Der Lüneburger SPD-Oberbürgermeister Ulrich Mädge hat unterdessen die Flüchtlingspolitik des Bundes kritisiert und Forderungen von Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) unterstützt. Anders als seine Partei forderte Mädge Transitzonen an den Grenzen, eine Begrenzung des Nachzugs von Familienangehörigen und erheblich schnellere Asylverfahren. Die rot-grüne Regierung Niedersachsens rief er dazu auf, der Verschärfung des Asylrechts am Freitag im Bundesrat zuzustimmen.
Auch der Städte- und Gemeindebund (NSGB) sieht die Kapazitäten von Landkreisen, Städten und Gemeinden bald erschöpft. NSGB-Präsident Marco Trips forderte von der niedersächsischen Landes-
regierung, den Kommunen alle anfallenden Kosten für die Flüchtlingsunterbringung zu erstatten.
Während das Land den Kommunen eine auskömmliche Kostenerstattung für den Fall freiwilliger Einrichtungen kommunaler Erstaufnahmeeinrichtungen angeboten hatte, ist im Rahmen des jetzt laufenden Amtshilfeverfahrens eine solche Erstattung nicht vorgesehen. Dies verlautete am Rande einer Informationsveranstaltung für Landräte am Donnerstag Abend.
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