Göttinger Landeshistoriker haben ihr Standardwerk als digitale Karte aufbereitet. 380 Klosterstandorte in Bremen und Niedersachsen sind jetzt digital aufrufbar.
Es gab sie verteilt übers ganze Land. Aber Ordensbrüder und Klosterschwestern waren bei der Wahl ihrer Klosterstandorte durchaus wählerisch. „Guter Boden zog sie erkennbar an“, sagt Nils Petersen von der Universität Göttingen. Die karge Geest etwa mieden die Ordensleute, die ja zumeist über umfangreiche Ländereien verfügten, lange Zeit wie der Teufel das Weihwasser. Viel lieber zog es sie in die fruchtbare Hildesheimer Börde, Mission hin oder her.
Das ist nur ein Ergebnis der digitalen Klosterkarte für Niedersachsen, die Petersen mit seinen Kollegen vom Institut für Historische Landesforschung jetzt im Internet veröffentlich hat. Bereits 2013 waren die Daten als Niedersächsisches Klosterbuch erschienen. „Die Auflage von 800 Stück war aber schon vor der Veröffentlichung praktisch vergriffen und ein Nachdruck nicht finanzierbar“, sagt Petersen.
Mit dem neuen Angebot machen die Wissenschaftler ihre Beiträge nun für jedermann zugänglich. Wer auf die rot markierten Standorte auf der Landkarte klickt, der findet dahinter Beiträge von 138 Experten zu rund 380 Klosterstandorten. „Die Geschichte spannt sich vom 783 noch in der Zeit der Christianisierung gegründeten Osnabrücker Domstift bis zur Säkularisierung unter Napoleon im Jahr 1810“, sagt Petersen.
Fehlende historische Kompetenz
Klöster, die danach vor allem von den Jesuiten gebaut und eingerichtet wurden, sind in der Karte indessen nicht verzeichnet. „Da fehlt uns die historische Kompetenz“, erklärt der Fachmann. Schließlich seien viele Ordensgemeinschaften in der jüngeren Geschichte immer schwerer einzuordnen und auch bei den Landeskirchen keine einheitlichen Informationen erhältlich.
Was war schließlich noch ein Beginenhof mit einigen frommen Frauen, wie es sie nach der Reformation vermehrt in Osnabrück, Braunschweig und Bremen gab? Waren sie nur eine Wohngemeinschaft älterer Frauen? Immerhin sollen Nutzer die Karte demnächst nach den Klöstern und Ordenshäusern filtern können, die heute noch zwischen dem Elbe-Weser-Dreieck und dem Westharz bestehen.

Über eine Suchmaske kann jedes Kloster auch nach Lage gefunden werden.
Aber auch so gibt es in dem Angebot viel zu entdecken. Da wäre zum Beispiel das Doppelkloster St. Gordianus und Epimachus der Benediktiner, das nach 750 vermutlich direkt von Kaiser Karl dem Großen in Mulwurpsen gegründet wurde. Die Anlage florierte über viele Jahrhunderte. Ein überheblicher Abt wollte es im 13. Jahrhundert gar zu einem eigenen Bistum ausbauen, womit allerdings der Niedergang begann.
Das Land verfiel, und die Deiche wurden nicht mehr gepflegt. So hatte das womöglich sogar Einfluss auf den Küstenverlauf. „Während die Burg Stolzensumpf bereits von der Zweiten Cosmas- und Damianflut am 26. September 1509 vernichtet wurde, überschwemmte die Allerheiligenflut 1510 Stadt- und Klosterareal, und die Antoniflut im Januar 1511 vollendete das Zerstörungswerk“, heißt es dazu im passenden Artikel. Heute liegt Mulwurpsen mitten in der Fahrrinne der Außenjade am Eingang zum Jadebusen.
Interessante Entwicklung Norddeutschlands
Für den Historiker Petersen sind die Klöster vor allem aus administrativer Sicht interessant für die Entwicklung Norddeutschlands. Schließlich dienten sie über Jahrhunderte als Horte der Kultur und Erhalter von Wissen und Kulturtechniken. Von Westfalen kommend dehnte sich die Klosterbewegung im frühen Mittelalter nach Norden aus. Gerade in den kleineren Herrschaften konnten die Landesherren sich eigene Hofkanzleien oft schlicht nicht leisten. So sei beispielsweise das Zisterzienserkloster in Hude von den Oldenburger Grafen eigens gestiftet worden, um nötigenfalls kundige Schreiber zum Anfertigen von Urkunden und Verträgen zur Hand zu haben. „Und natürlich fürs Seelenheil“, ergänzt der Forscher, „denn ihre Pflichtgebete für die verstorbenen Grafen verkürzten – so glaubte man – die Zeit im Fegefeuer.“
Vor allem die Dickschiffe unter den Klöstern waren zugleich auch eindrucksvolle Wirtschaftsbetriebe, die wesentlich zur Binnenkolonisation des platten Landes beigetragen haben. „Sie brachten die Geldwirtschaft aufs Land und auch manche Handwerkstechnik. So setzten viele Orden zum Beispiel hörige Bauern zum Spinnen von Wolle von ihren Schafen ein“, sagt Petersen. Für die Göttinger Historiker ist die Klosterkarte ein erster Türöffner in die digitale Erschließung Niedersachsens. Weitere Projekte sollen folgen und das Angebot im Netz dann auch präsenter machen.
Aktuell arbeiten die Wissenschaftler an einer digitalen Karte aller Chausseen, die im 18. Und 19. Jahrhundert allmählich das Land erschlossen – komplett mit Zollstellen, Baumschulen oder Brücken. Wenn sie online ist, wird man ohne riesige Kartenwerke, für die den meisten Nutzern schon ein ausreichend großer Schreibtisch fehlt, nachvollziehen können, wie Überlandstraßen erst vor wenigen Generationen auch in Norddeutschland die Reisezeiten entscheidend verkürzten und aus abgelegenen Flecken Versorgungsposten für die großen Städte und den Warenexport machten.