Eltern beklagen Unterrichtsausfall Lehrermangel in Niedersachsen

Der Verband der Elternräte an den niedersächsischen Gymnasien beklagt einen massiven Unterrichtsausfall. Von 2800 ausgeschriebenen Lehrerstellen konnten 500 nicht besetzt werden.
27.09.2016, 06:00 Uhr
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Lehrermangel in Niedersachsen
Von Silke Looden

Der Verband der Elternräte an den niedersächsischen Gymnasien beklagt einen massiven Unterrichtsausfall. Von 2800 ausgeschriebenen Lehrerstellen konnten 500 nicht besetzt werden.

Der Verband der Elternräte an den niedersächsischen Gymnasien beklagt einen massiven Unterrichtsausfall, das Kultusministerium in Hannover dementiert. „Der Pflichtunterricht ist gesichert“, betont Ministerin Frauke Heiligenstadt (SPD).

Nach Ministeriumsangaben liegt die Unterrichtsversorgung an den Gymnasien nach vorläufigen Berechnungen aktuell bei knapp unter 100 Prozent. Das sei zu wenig, moniert der Philologenverband. 500 Lehrerstellen konnten zum Schuljahresbeginn in Niedersachsen nicht besetzt werden. Der Bewerbermarkt ist leer gefegt. Vermehrt werden Quereinsteiger eingestellt.

„Wie können unsere Kinder im Gegensatz zu Schülern aus anderen Bundesländern vergleichbare Leistungen zeigen, wenn jede zehnte Stunde ausfällt“, fragt Oliver Gossel, Vorsitzender des Verbandes der Elternräte an Gymnasien. Leidtragende seien die Kinder.

Abwanderung der Lehrkräfte in andere Bundesländer

Gossel geht davon aus, dass mindestens 350 Lehrer wegen der Diskussion um die Arbeitszeit für Lehrkräfte an niedersächsischen Gymnasien in andere Bundesländer abgewandert sind. Das Kultusministerium hatte die Unterrichtsverpflichtung pro Woche um eine Stunde auf 24,5 Stunden erhöhen wollen. Nach Lehrerprotesten war die Entscheidung aber vor Gericht kassiert worden. Zudem, so Gossel, würden 1300 Lehrer durch die Wiedereinführung des Abiturs nach 13 statt 12 Jahren fehlen.

Das Kultusministerium dementiert die Abwanderung von Lehrern in andere Bundesländer. Niedersachsen habe mit 23,5 Stunden pro Woche im Vergleich der Bundesländer die geringste Unterrichtsverpflichtung für Gymnasiallehrer.

Die hohen Bewerberzahlen aus anderen Bundesländern zeigten, dass das Land Niedersachsen ein attraktiver Arbeitgeber sei. Zum 1. August seien 929 Lehrkräfte an Gymnasien eingestellt worden und damit deutlich mehr als an Grund-, Haupt- und Realschulen (877), so Ministeriumssprecher Sebastian Schumacher.

Der Lehrermarkt ist leer gefegt

2800 Lehrerstellen hatte die Landesregierung zum neuen Schuljahr ausgeschrieben. 500 davon konnten nicht besetzt werden, vor allem an Grund-, Haupt- und Realschulen. Der Lehrermarkt sei schlicht leer gefegt, weil auch andere Bundesländer zusätzlichen Bedarf an Lehrern hätten, so das Ministerium. Gründe dafür sind der Ausbau der Ganztagsschule, die Inklusion von behinderten Kindern an die Regelschule und der Zuzug von Flüchtlingen.

Allein von März bis Juni seien mehr als 36 000 Schülerinnen und Schüler mit geringen Deutschkenntnissen an die niedersächsischen Schulen gekommen, mehr als ein halber Einschulungsjahrgang, erklärt Frauke Heiligenstadt. „Das Ziel ist und bleibt landesweit im Durchschnitt wieder auf 100 Prozent zu kommen. Ich bin zuversichtlich, dass das perspektivisch gelingt‘“, so Heiligenstadt.

Am Montag gab das Kultusministerium bekannt, zum zweiten Schulhalbjahr 1300 Lehrerstellen auszuschreiben. An Grund- Haupt- und Realschulen sind 600 Einstellungsmöglichkeiten vorgesehen, an Gesamtschulen 190, an Oberschulen 270, an Gymnasien 165 und an Förderschulen 75. Ob die Stellen tatsächlich besetzt werden können, bezweifeln Experten.

Fehler liegen in der Vergangenheit

„Die Fehler für den Lehrermangel auf dem Arbeitsmarkt sind in der Vergangenheit zu suchen“, meint der Vorsitzende der Lehrergewerkschaft GEW, Eberhard Brandt. „Die schwarz-gelbe Vorgängerregierung hat die Ausbildungskapazität für Pädagogen an den Universitäten drastisch reduziert. Der Lehrermangel war also vorhersehbar.“

Die GEW fordert denn auch mehr Studienplätze für angehende Pädagogen. „Wir brauchen einen Puffer für die Wiedereinführung des Abiturs nach 13 Schuljahren.“ Der Lehrermangel zeige sich aus Sicht der GEW vor allem auf dem Land. Brandt: „Die jungen Lehrer zieht es in die Stadt.“ Was die Pensionswelle unter den Pädagogen angeht, meint Brandt: „Da haben wir den Zenit bereits überschritten.“

Auch der Vorsitzende des Landeselternrates, Stefan Bredehöft spricht von einer angespannten Situation auf dem Lehrermarkt. Davon seien die Gymnasien jedoch weniger betroffen als Grund-, Haupt- und Realschulen. Probleme, so Bredehöft, gebe es vor allem bei der Erteilung der MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik). Der Vorsitzende betont: „Wir fordern seit Jahren eine vorausschauende Personalplanung.“

Schlechte Unterrichtsversorgung an den Gymnasien

Der Philologenverband spricht von einer vergleichsweise schlechten Unterrichtsversorgung an den Gymnasien. Die statistische Zahl von nahezu 100 Prozent Unterrichtsversorgung sage nichts über den tatsächlichen Mangel an Lehrern in einzelnen Fächern aus, nichts über die Ausfälle durch Krankheiten und Klassenfahrten, durch Projekte und Praktika.

Die Kultusministerin müsse sich fragen lassen, ob sie die Erteilung von Unterricht auf die Pflichtstunden reduzieren wolle, so der Philologenverband. Der Vorsitzende des Verbandes Horst Audritz moniert, dass gegen den Lehrermangel in den MINT-Fächern nicht genug getan werde. Von Quereinsteigern hält er wenig: „Ein Ingenieur hat zwar das Fachwissen, muss es aber auch vermitteln können.“

Die Kultusministerin hat mit einem 17-Punkte-Aktionsplan auf den Mangel an Bewerbern reagiert. Danach können sich Quereinsteiger aus anderen Berufsgruppen nun auch als Lehrer an Grundschulen bewerben. Lehrkräfte, die bisher für den Ganztagsunterricht eingeplant waren, dürfen jetzt auch für den Pflichtunterricht eingesetzt werden.

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