Die Notfallpläne für die Atomkraftwerke in Niedersachsen sind offenbar veraltet. Das geht aus einer Antwort der Landesregierung auf eine Anfrage der Grünen-Fraktion im Landtag hervor. Demnach sollen die Pläne sukzessive bis 2020 aktualisiert werden. Zu spät, meinen die Grünen, schließlich sollen die noch in Betrieb befindlichen Kernkraftwerke in Grohnde (Landkreis Hameln-Pyrmont) und Lingen (Landkreis Emsland) bereits 2021, beziehungsweise 2022 vom Netz gehen. Das Innenministerium dementiert den Vorwurf. Im Ernstfall werde nach den bisherigen Plänen gehandelt, so Sprecherin Svenja Mischel.
„Die Landesregierung trödelt beim notwendigen Schutz der Bevölkerung vor Atomkatastrophen“, kritisiert der Vizefraktionschef der Grünen, Christian Meyer, „das ist fahrlässig und Verschleppung mit Ansage.“ Schließlich habe die Bundesregierung bereits 2011 nach dem Super-Gau im japanischen Fukushima höhere Standards beschlossen. Diese müssten dringend umgesetzt werden. Es reiche nicht, mit dem Finger auf die mangelnde Sicherheit von belgischen Atomkraftwerken zu zeigen und selbst nichts zu tun.
Notfallpläne sind 10 Jahre alt
Zuständig für den Katastrophenschutz und damit für die Umsetzung der Empfehlungen der Strahlenschutzkommission ist das niedersächsische Innenministerium. Dieses weist die Kritik der Anti-Atomkraft-Partei von sich. Mit der konzeptionellen Vorarbeit sei bereits 2015 begonnen worden, die notwendigen Finanzmittel in Höhe von zwei Millionen Euro stünden aber erst jetzt im Haushalt 2018 zur Verfügung, heißt es in der Antwort der Landesregierung auf die Anfrage der Grünen. „Bis diese und andere Maßnahmen abgeschlossen sind, besteht in Niedersachsen aber kein Planungsvakuum oder Zustand ohne ausreichende Vorkehrungen“, betont die Sprecherin. Das Land setze die Empfehlungen konsequent um.
Konkret geht es um die Evakuierung der Bevölkerung im Ernstfall. So hält die Strahlenschutzkommission eine Ausweitung des Radius auf einhundert Kilometer rund um den Meiler für notwendig. In einer Zone von fünf Kilometern muss die Bevölkerung demnach binnen sechs Stunden vollständig evakuiert und mit Jodtabletten versorgt werden. In einem Umkreis von 20 Kilometern gilt eine Frist von 24 Stunden. Die derzeitigen Notfallpläne für die Atomkraftwerke in Grohnde und Lingen sind zehn Jahre alt und sehen eine zentrale Schutzzone in einem Umkreis von zwei Kilometern vor. Weitere Schutzzonen liegen bei zehn, 25 und einhundert Kilometern. Die Evakuierungszonen entsprächen den bisherigen Empfehlungen, so Mischel.
Das Innenministerium erklärt in der Drucksache, dass das Reaktorunglück von Fukushima einen „Paradigmenwechsel in der Sicherheitseinschätzung“ darstelle. Die zwei Millionen Euro im Landeshaushalt seien für die Ausstattung von Notfallstationen, Fahrzeugbeschaffungen und Fortbildungen vorgesehen. Erstmals soll ein landesweiter Notfallplan für den Fall einer Reaktorkatastrophe entwickelt werden. Die Empfehlungen der Strahlenschutzkommission würden bis 2020 umgesetzt. Der ursprüngliche Zeitplan habe sich wegen der Flüchtlingskrise verschoben.
„Da kann man die Atomkraftwerke auch ein Jahr früher abschalten“, ätzt Meyer, der auch katastrophenschutzpolitischer Sprecher seiner Fraktion ist. „Das Land darf die Kommunen nicht im Regen stehen lassen.“ Tatsächlich sind die Landkreise für den Katastrophenschutz zuständig. Die Zuständigkeit soll aber schon zum kommenden Jahr auf das Land übergehen. So sieht es die Novelle des Katastrophenschutzgesetzes vor, das noch unter Rot-Grün im vergangenen Jahr beschlossen wurde.
Gerade der jüngste Renegade-Vorfall habe deutlich gezeigt, wie real die Gefahr sei, dass ein Verkehrsflugzeug als Waffe eingesetzt werde, betont Meyer. Zuletzt hatte es am 19. Februar einen Fehlalarm gegeben. Nachdem ein Pilot einen falschen Code verwendet hatte, wurden die Atomkraftwerke in Grohnde und Lingen sowie das stillgelegte Kernkraftwerk Unterweser evakuiert. Schließlich wurde die Luftwaffe alarmiert, um das vermeintlich entführte Flugzeug abzufangen.