Niedersachsens Polizei greift bei ihren Ermittlungen im größeren Umfang auf Corona-Gästelisten von Restaurants und Kneipen zurück. Fast drei Dutzend Fälle bis Mitte August listet das Sozialministerium jetzt in einer Antwort auf eine Parlamentsanfrage der FDP-Fraktion auf. Bei den verfolgten Straftaten handelt es sich laut der Tabelle, die das Innenministerium erstellt hat und die dem WESER-KURIER vorliegt, zumeist um Diebstahl und Betrug. Darunter befinden sich aber auch drei Vergewaltigungen, ein sexueller Missbrauch im Schwimmbad, Körperverletzungen, eine fahrlässige Tötung sowie bei der Polizeiinspektion Osnabrück der „Verdacht auf Tod mit Fremdeinwirkung“. Bei diversen Vorgängen kam es laut der Auskunft auch zu Beschlagnahmen der Gästelisten aus der Gastronomie.
„Der Zugriff auf die Daten ist grundsätzlich für die Polizei zur Straftatenverfolgung nach der Strafprozessordnung (StPO) möglich“, schreibt Ministerin Carola Reimann (SPD) und betont: „Hierbei ist jedoch stets eine Einzelfallbetrachtung erforderlich, und der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz muss gewahrt sein.“ Das jedoch zweifelt der FDP-Innen- und Rechtsexperte Marco Genthe zumindest in einem Fall an. Denn laut Liste kassierte die Polizeidirektion Oldenburg schon wegen einer Ruhestörung, also einer Ordnungswidrigkeit, die von den Wirten eingesammelten Kontaktdaten ihrer Kunden.
Solche Lappalien rechtfertigten einen derart schweren Eingriff nicht, kritisiert der Rechtsanwalt aus Weyhe. „Es darf auf keinen Fall der Eindruck entstehen, dass die Daten leichtfertig und zur Verfolgung auch kleinster Delikte verwendet werden.“ Dies untergrabe das Vertrauen der Bevölkerung in den verantwortungsvollen Umgang mit den hinterlegten Daten und erhöhe die Gefahr von bewussten Falschangaben. Innenminister Boris Pistorius (SPD) müsse daher im Sinne des Infektionsschutzes einen Gästelisten-Zugriff bei Bagatellen ausschließen.
In Bremen wurden die Gästelisten, wie berichtet, ebenfalls von der Polizei eingesehen. Dabei soll es sich nach Angaben des Innenressorts um Einzelfälle gehandelt haben. Die Landesdatenschutzbeauftragte Imke Sommer hatte angekündigt, das Vorgehen zu prüfen. Die Innenbehörde betonte, dass die rechtlichen Vorschriften wie bei allen anderen Beschlagnahmen eingehalten wurden.