Kein Maskenzwang im Unterricht, keine Schul-Kontrollen von Reiserückkehrern aus Risikogebieten, später freiwillige Corona-Tests für Lehrkräfte: Mit diesen Vorgaben will Niedersachsen an diesem Donnerstag in das neue Schuljahr starten. „Die Situation ist beherrschbar. Wir gehen in den eingeschränkten Regelbetrieb“, erklärte Kultusminister Grant Hendrik Tonne am Mittwoch in Hannover. Nach diesem Konzept gibt es bei insgesamt voller Schülerzahl feste, abgrenzbare Lerngruppen. In den Klassenräumen gilt kein Mindestabstand, auf den Fluren und Pausenhöfen sind dagegen 1,5 Meter Distanz einzuhalten.
„Eine Maskenpflicht widerspricht dem Prinzip des gemeinsamen Lernens“, betonte der Ressortchef. „Sprachunterricht ist damit überhaupt nicht vorstellbar.“ Tonne kündigte an, dass man den Lehrkräften „demnächst“ Angebote für freiwillige Tests auf das Virus machen werde. Vorrangig gelte es aber, die Kapazitäten für Urlaubsheimkehrer zu nutzen. Wer in einem Risikogebiet gewesen sei, müsse sich in Quarantäne begeben oder ein negatives Test-Ergebnis vorweisen. Dies werde von den Gesundheitsämtern zur Not mit Hilfe der Polizei streng überwacht. Eine Kontrolle durch die Schulen lehnte der Minister jedoch ab. Die Schulleitungen seien nicht verpflichtet, Verdachtsfälle den Behörden zu melden.
„Die Schulen sind mitnichten optimal für den Regelbetrieb unter Corona-Bedingungen gewappnet“, kritisierte Grünen-Fraktionschefin Julia Willie Hamburg. Der Minister lasse die Schulen mit den Unsicherheiten allein. „Denn er verkennt die tatsächliche Situation mit fehlenden Waschbecken, fehlendem zusätzlichen Personal für die Kontrollen auf Pausenhöfen, Fluren, Sanitärbereichen, damit die Corona-Regeln auch tatsächlich befolgt werden.“
FDP-Schulexperte Björn Försterling rügte die späte Einsicht des Ministers bei den freiwilligen Tests für Lehrkräfte. „So wird es wieder ein paar Wochen dauern, bis das Notwendige umgesetzt ist.“ Der Countdown bis zur ersten Schulschließung laufe längst. „Nötig wäre eine 14-tägige Schulquarantäne für alle Urlaubsheimkehrer ohne negativen Test“, forderte Försterling. Nach Ansicht von Florian Reetz, Vorsitzender des Landesschülerrats, hat das Kultusministerium verpasst, frühzeitig Regelungen zur Risikominimierung mit mehr Tests und der Anschaffung von Reinigungsanlagen zu treffen.
Flächendeckende Teststrategie fehlt noch
Selbst dem eigenen Koalitionspartner ging Tonnes Ankündigung nicht weit genug. „Was immer noch fehlt, ist eine flächendeckende Teststrategie für die Beschäftigten in Schulen und Kitas“, bemängelte CDU-Fraktionsvizechefin Mareike Wulf mit Blick auf die engen Kontakte von Erzieherinnen und Lehrkräften zu den Kindern. „Wir stehen als Land in der Pflicht, für die Sicherheit unserer Beschäftigten im Bildungsbereich zu sorgen.“ Die Finanzierung der Tests dürfe kein Argument sein. „Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg – und wir wollen die Tests für Erzieher und Lehrer gleichermaßen.“
Für rund 848.800 Schülerinnen und Schüler beginnt jetzt wieder der Unterricht. Dazu kommen 72.500 Erstklässler – 2500 mehr als im Vorjahr. Knapp 2000 neue Lehrkräfte werden ihren Dienst aufnehmen. Damit konnte das Kultusressort 90 Prozent der ausgeschriebenen Stellen neu besetzen. „Das ist ein gutes Ergebnis, das wir aber auch dringend benötigen“, sagte Tonne. Ausgeschieden seien 1600 Lehrkräfte. Besonders erfreulich sei die Entwicklung an den Grundschulen, wo die Besetzungsquote sogar 95 Prozent erreiche. Dadurch könne man auch die Zahl der belastenden Abordnungen um mehr als die Hälfte auf knapp 11.000 Stunden und 1117 Betroffene reduzieren.
Alles in allem bestehe aber kein Anlass zum Schönreden. „Wir lehnen uns nicht entspannt zurück.“ Zusätzliche Lehrereinheiten gewinnt das Ministerium nach eigenen Angaben durch die befristete und stundenweise Einstellung von Lehramtsstudenten und Pensionären, durch die Aufstockung von Teilzeitstellen sowie die Kürzung von frei verfügbaren Poolstunden zugunsten des Pflichtunterrichts. Damit komme man rechnerisch auf über 2500 neue Lehrkräfte, berichtete Tonne. „Das sichert eine einigermaßen stabile Unterrichtsversorgung auf dem Vorjahreswert.“ Im vergangenen Schuljahr lag dieser Wert bei 99,6 Prozent. Die großen Unbekannten seien mögliche Zusatzbedarfe, meinte der Minister nicht zuletzt mit Blick auf mögliche coronabedingte Ausfälle. Rund zehn Prozent der Lehrkräfte gehören nach Schätzungen des Ministeriums zur Risikogruppe, allerdings würden sich wohl nur sechs bis acht Prozent tatsächlich mit ärztlichem Attest vom Unterricht befreien lassen.
„Die Ober-, Real- und Hauptschulen bleiben die Sorgenkinder im niedersächsischen Schulsystem“, schimpfte der Vorsitzende des Verbandes Niedersächsischer Lehrkräfte, Torsten Neumann. In diesem Bereich seien lediglich etwas mehr als 65 Prozent der ausgeschriebenen Stellen besetzt worden. Außerdem sei hier der Anteil der neu eingestellten Quereinsteiger mit 20 Prozent um fast das Dreifache höher als der Durchschnitt. Als Folgen seien Unterrichtsausfall, größere Klassen und das Streichen des Ganztagsangebotes zu befürchten. „Wir warnen davor, dass hier eine große Schülerschaft in ihrer Entwicklung benachteiligt wird“, sagte Neumann.