Herr Frangi, schon im Mai wollen die USA ihre Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem verlegen. Sind Sie überrascht, dass Präsident Donald Trump es wirklich ernst meint?
Abdallah Frangi : Von Anfang an habe ich das Gefühl gehabt, dass Präsident Trump diesen Konflikt einseitig betrachtet. Alle Äußerungen, die er gemacht hat, zeigen das. Trump ist der erste amerikanische Präsident, der die Haltung aller seiner Vorgänger beiseitegeschoben hat. Und nicht nur das: Er hat sie sogar als feige bezeichnet. Ich halte das für einen strategischen Fehler, den man im Nahost-Konflikt einfach nicht machen darf.
Den Termin für die Eröffnung der US-Vertretung in Jerusalem haben die USA auf den 14. Mai gelegt, den 70. Jahrestag der Gründung Israels. Ein zusätzlicher Affront?
Es ist auch das 70. Jahr für die an-Nakba.
Sie meinen die Flucht und Vertreibung von etwa 700 000 Palästinensern aus dem früheren britischen Mandatsgebiet Palästina.
Ja, es war die Katastrophe für das palästinensische Volk. Das Trump ausgerechnet dieses Datum gewählt hat, zeigt doch: Er ignoriert uns. Vom gesamten Nahen Osten sieht der amerikanische Präsident nur Israel. Das ist nicht nur menschlich unannehmbar, sondern auch politisch. Wie kann er das machen? Seine Rolle sollte die desjenigen sein, der versucht, Frieden in der Region zu schaffen. Warum denkt er nicht an uns? Als die Palästinenser 1948 vertrieben wurden, waren wir ein bis anderthalb Millionen – heute sind wir zwölf Millionen Menschen. Wir haben so viel Einfluss auf den gesamten arabischen Raum. Und wir haben Lehrer, Ingenieure, Ärzte. So viele Palästinenser leben und arbeiten in dieser Region. Wie kann Präsident Trump unser Volk ignorieren?
Auch die Palästinenser betrachten Jerusalem als Hauptstadt eines zu schaffenden künftigen Palästinenserstaates. Wie kann dieser Konflikt gelöst werden?
Indem der Weltsicherheitsrat für eine Vermittlung zusätzlich zum Nahost-Quartett – also den Amerikanern, Russen, der Europäischen Union und den Vereinten Nationen – weitere Staaten hinzuzieht.
Sie meinen die Forderung von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas, auch Deutschland und Frankreich sollten als Vermittler auftreten?
Ja, dieser Prozess kann nicht länger maßgeblich den Amerikanern überlassen bleiben. Ich halte den Vorschlag von Präsident Abbas für sehr wichtig und sehr gut. Die Franzosen haben darauf auch positiv reagiert. Präsident Emmanuel Macron ist bereit, die Vermittlerrolle anzunehmen. Ich kann nicht sagen, inwieweit Bundeskanzlerin Angela Merkel auch diese Rolle akzeptieren würde.
Würden Sie denn begrüßen, dass Deutschland diese Rolle übernimmt?
Natürlich, die Deutschen haben durch ihre Wiedergutmachung Israel unterstützt. Deshalb sind sie verpflichtet, auch die Palästinenser zu unterstützen, die von Israel vertrieben worden sind. Ich würde es sehr begrüßen, wenn Frankreich und Deutschland maßgeblich für Europa die Vermittlerrolle übernehmen würden. Wir dürfen nicht vergessen: Frankreich und England sind diejenigen, die nach dem Zweiten Weltkrieg die arabische Welt so aufgeteilt haben. Der israelische Staat liegt im Land der Palästinenser.

Abdallah Frangi
Heißt das also, weil in Ihren Augen die USA unter Trump die Vermittlerrolle im Nahen Osten verspielt haben, muss Europa jetzt zum entscheidenden Faktor in einem Friedensprozess werden?
Ich sage nicht, dass die USA, dass der amerikanische Präsident, in einem solchen Prozess ignoriert werden können. Amerika ist immer noch eine Supermacht. Trotzdem müssen die Europäer ihre Verantwortung für die Region übernehmen. Die Beziehung zwischen Europa und dem Nahen Osten ist uralt. Und deshalb haben sie auch die Verpflichtung, dort aktiv zu sein. Ich hoffe, dass sie die Kraft haben werden, neue Impulse zu geben. Trumps einseitige Haltung schafft nur die Atmosphäre für mehr Hass und Krieg in dieser Region.
Herr Frangi, Sie haben dem WESER-KURIER in einem Interview im Dezember 2011 gesagt: Solange Israel seine Siedlungspolitik fortsetzt, würden Sie keine Chance für Friedensgespräche sehen. Israel setzt seine Siedlungspolitik massiv fort. Bleiben Sie also bei Ihrer Aussage?
Ja, ich bleibe dabei. Mit dieser Politik schafft Israel keine Zukunft: für die Palästinenser nicht, aber auch für die Israelis nicht. Die Bereitschaft zur Verständigung bei den Palästinensern ist sehr groß. Präsident Abbas hat unzählige Male betont, dass er bereit ist zu einem gerechten und dauerhaften Frieden auf der Basis der Zwei-Staaten-Lösung. Das heißt, es muss ein palästinensischer Staat neben Israel entstehen und nicht anstelle von Israel.

US-Präsident Donald Trump hält einen Frieden im Nahen Osten zwischen Israelis und Palästinensern weiterhin für möglich.
Wenn Sie sagen, Präsident Abbas macht ein ehrliches Angebot an Israel, spricht er da wirklich im Namen aller Palästinenser? Ich frage das vor dem Hintergrund der Existenz von Fatah und Hamas.
Ich möchte es so ausdrücken: Es gibt niemanden, der zu 100 Prozent für alle spricht, die er vertritt. Es gibt aber Mehrheiten, und diese Mehrheit unterstützt die Politik von Präsident Abbas. Das palästinensische Volk will einen gerechten Frieden. Was es nicht will, ist unter einer Besatzungsmacht zu leben. Wir wollen in Freiheit leben, wie jedes andere Volk auf dieser Welt auch.
Bei aller Perspektivlosigkeit und bei allen Rückschlägen: In Ihnen glimmt immer noch die Hoffnung, dass es eines Tages doch zu diesem gerechten Frieden kommt?
Es gibt keine andere Möglichkeit. Sollten die Israelis einen palästinensischen Staat verhindern, dann stellen sie auch ihren eigenen Staat infrage. Israel kann nicht so tun, als ob es nur Israel gibt. Auf Gott können wir uns beide berufen.
Das Gespräch führte Hans-Ulrich Brandt.
Ein Diplomatenleben für Palästina, so lautet der Titel einer Veranstaltung mit Abdallah Frangi, die am Dienstag, 6. März um 19.30 Uhr, im Übersee-Museum stattfindet. Frangi wird über die aktuelle Lage und die Entwicklungschancen Palästinas berichten.
Zur Person:
Abdallah Frangi war Generaldelegierter Palästinas (Botschafter) in Deutschland, Gouverneur von Gaza und Berater von Palästinenserführer Jassir Arafat. Er berät jetzt den amtierenden Präsidenten Mahmud Abbas.