Die Jüdische Gemeinde zu Berlin ruft für diesen Mittwoch zu einer besonderen Solidaritätsaktion auf: Berlin trägt Kippa. Auch Nicht-Juden sollen sich die kreisrunden Kopfbedeckungen aufsetzen, seien sie aus Stoff oder auch nur aus Pappe. Die Kundgebung wird gute Fernsehbilder liefern. Der Zentralratspräsident, der Regierende Bürgermeister, der Landesbischof werden richtige Worte finden gegen den Antisemitismus, der wieder offen wuchert in Deutschland. Andere Städte folgen. Aber was ist gewonnen mit der Aktion?
Dass es die Juden selbst sind, die Solidarität einfordern, ist eigentlich eine peinliche Tragödie. Und es darf nicht sein, dass Juden in Deutschland Angst haben. Ein Sturm der Entrüstung über Mobbing auf Schulhöfen, über die erbärmliche Auschwitz-Zeile von Kollegah und Farid Bang, über physische Angriffe hätte längst über das Land fegen müssen. Nie wieder! Und er hätte ausgehen müssen von Nicht-Juden.
"Mach meinen Kumpel nicht an", so hieß vor über 30 Jahren eine Aktion gegen Rassismus, angestoßen von den Gewerkschaften, abgeschaut aus Frankreich. Die gelbe Hand als Anstecker, als Aufkleber bleibt bis heute ein starkes Symbol. Die Kippa-Aktion dürfte kaum diese Wucht entfalten. An ihr ist alles gut, aber sie reicht nicht. Eine der vielen zwingenden Lehren aus der NS-Zeit lautet: Für den Kampf gegen Antisemitismus sind nicht zuvorderst Juden verantwortlich, sondern alle anderen.
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