Es handelt sich um ein heikles Thema für Bundesfinanzminister Olaf Scholz – und am liebsten hätte der SPD-Kanzlerkandidat die Frage vermutlich ignoriert. Doch am Freitag kamen die EU-Finanz- und Wirtschaftsminister in Slowenien zusammen, und natürlich wurden am Rande auch mögliche Reformen der strengen EU-Haushaltsregeln angesprochen. Es geht um nichts weniger als die Zukunft der europäischen Schuldenpolitik. Wie will die Staatengemeinschaft in Zukunft wirtschaften? Scholz hat nun Forderungen nach einer Änderung der Kriterien zurückgewiesen. „Wir haben einen guten Rahmen für Stabilität in Europa.“ Er habe gezeigt, gerade jetzt in der Krise, „dass er besonders handlungsfähig ist“.
Gemeinschaft ist sich alles andere als einig
Auch wenn die Angelegenheit erst ab Herbst offiziell zur Beratung auf dem Tisch liegt – hinter den Kulissen ist unter den Finanzexperten längst eine Debatte entfacht. Denn die Gemeinschaft ist sich alles andere als einig darüber, ob man zu den Haushaltsregeln zurückkehren soll, die aufgrund der Pandemie bis Ende 2022 ausgesetzt wurden. Scholz plädierte am Freitag dafür. „Alle wissen, dass das ein Prozess ist, der einen Übergang benötigt. Das ist aber alles im Rahmen der geltenden Regeln möglich“, so der Bundesfinanzminister.
Das Thema spaltet die Gemeinschaft schon lange, auch wenn in Brüssel jetzt schon kaum jemand erwartet, dass die EU zum Vor-Corona-Regelwerk zurückkehrt. Auf der einen Seite stehen Länder wie Italien, Griechenland und Frankreich, die sich für eine permanente Änderung des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts einsetzen. Dieser schreibt unter anderem vor, dass ein Mitgliedstaat mit maximal 60 Prozent seiner Wirtschaftsleistung verschuldet sein darf und die jährliche Neuverschuldung drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) nicht übersteigen darf.
Tiefrote Spuren in den nationalen Haushalten
Die Reformwilligen sehen ihre Chance nun gekommen, nachdem die Corona-Hilfen tiefrote Spuren in den nationalen Haushalten hinterlassen haben. Die Bundesregierung lehnte es dagegen stets ab, die Vorgaben auch längerfristig flexibler zu gestalten. Die beliebte Erzählart: Ein solcher Schritt würde bei einigen Ländern zu einer Erlaubnis zum Schuldenmachen führen – auf Kosten Deutschlands. Widerstand gegen die Beibehaltung des coronageprägten Status quo kommt auch aus anderen nordeuropäischen Euro-Ländern. Umso mehr wird in den europäischen Hauptstädten das Ergebnis der Bundestagswahl als richtungsweisend betrachtet.
„Es passt nicht zusammen, wenn Olaf Scholz sich in Deutschland als Wahrer der Stabilität geriert, seine europäischen Sozialdemokraten aber in Brüssel den Weg in die Schuldenunion vorbereiten“, kritisiert der EU-Abgeordnete und Finanzpolitiker Markus Ferber (CSU). Seiner Ansicht nach wolle die SPD den Stabilitäts- und Wachstumspakt „massiv aufweichen“.
Die Sozialdemokraten sprechen dagegen nicht von aufweichen, sondern wollen das Instrument zu einem „Nachhaltigkeitspakt“ weiterentwickeln, wie es im Wahlprogramm heißt, also soziale und grüne Investitionen fördern. „Wir brauchen in Deutschland wie in Europa eine deutliche Steigerung öffentlicher Investitionen, um den klimaneutralen und digitalen Wandel unserer Wirtschaft und Gesellschaft zu schaffen“, sagt Jens Geier, Vorsitzender der SPD-Europaabgeordneten. Aufgezwungene Kürzungsmaßnahmen erzeugten dagegen keine europäische Solidarität.