Bei der Landtagswaghl in Mecklenburg-Vorpommern konnte die AfD einen sensationellen Erfolg verbuchen. Dabei geht es der Partei gar nicht um rationale Lösungen für reale Probleme.
Die gute Nachricht zuerst: Die echten Nazis dürfen nicht mehr rein ins Schweriner Schloss. Die NPD scheitert an der Fünf-Prozent-Hürde, ihr Stimmenanteil hat sich im Vergleich zu 2011 beinahe halbiert. Ob die Prozentpunkte nun von der AfD eingesackt wurden, ist gar nicht so wichtig. Spannend ist, wo sich die AfD sonst noch die Stimmen für ihren sensationellen Wahlerfolg geholt hat. Ganz einfach: bei allen – und das ist die schlechte Nachricht.
Denn es zeigt, dass man für solide-geräuscharme Politik, wie sie SPD-Ministerpräsident Erwin Sellering betreibt, nur noch sehr bedingt an Wahltagen mit Erfolg verwöhnt wird. Sellering als „Wahlsieger“ zu bezeichnen, ist ja fast schon Schönfärberei: Seine SPD hat im Nordosten mehr Prozentpunkte verloren als ihr Juniorpartner CDU.
Die wiederum kann man getrost Wahlverlierer nennen: gedemütigt auf dem dritten Platz, abgehängt von der neuen Protestpartei AfD. Und das auch noch im Heimatland der Kanzlerin! Bonus? Malus! Denn das ist das Bemerkenswerte: Abgestraft wurde keineswegs der blasse, aber doch geradlinige CDU-Innenminister Lorenz Caffier. Warum auch? Mecklenburg-Vorpommern leidet ja nun nicht gerade unter explodierenden Kriminalitätsraten und rechtsfreien Räumen. Abgestraft wurde die Bundesregierung – sicherlich auch, aber ganz bestimmt nicht nur für ihre Flüchtlingspolitik.
Populismus mit menschlichem Anlitz
Nun gehört das nordöstliche Bundesland mit seinen Schulden, seiner Strukturschwäche, seiner Landflucht sicher eher zu den Problemzonen der Republik. Und die Popularität von Regierungschef Sellering beruht wohl weniger darauf, dass er dies in den acht Jahren seiner Regentschaft nachhaltig verbessert hätte: Außer dem Tourismus brummt ja nicht viel an der Ostseeküste.
Nein, der Westimport hat sich vor allem als Verteidiger ostdeutscher Biografien profiliert – ausdrücklich auch solcher, die Stützen des SED-Regimes waren. „Unrechtsstaat“ kam ihm nicht über die Lippen – eher, dass „viele in der DDR Beachtliches geleistet“ hätten. Das hält die Linke zuverlässig auf Abstand im Parteien-Ranking, ermöglicht im Fall der Fälle aber auch ein Bündnis mit ihnen.
Man könnte das auch Populismus mit menschlichem Antlitz nennen – im Gegensatz zu den Äußerungen von AfD-Sturmspitze Leif-Erik Holm. Der warnt vor einem „Kalifat an der Ostsee“, vor Überfremdung. Und das im Land mit der niedrigsten Bevölkerungsdichte in ganz Deutschland: In Niedersachsen ist sie doppelt, im Bundesdurchschnitt gar dreimal so hoch. Derweil bejammert man in den sich leerenden, überalterten Dörfern Vorpommerns das Fehlen von Ärzten, Lehrern, Kaufleuten – wenn dieses Land also ganz dringend etwas braucht, dann massive Zuwanderung.
Lösungen für nicht vorhandene Probleme
Aber genau das ist das Erschreckende an diesem Wahlkampf und seinem Ergebnis. Um rationale Lösungen für reale Probleme, einen Wettstreit der Ideen und Konzepte geht es gar nicht. Soziale Gerechtigkeit? Arbeitslosigkeit? Wirtschaftsförderung? Familienpolitik? Nein, „Zuwanderung“ war in einer Umfrage das meistgenannte Thema für die Wahlentscheidung. Das also bedrängt die Menschen zwischen Lübtheen und Heringsdorf am meisten? Wer‘s glaubt...
Die AfD sei eine Partei, die Probleme beschreibe, sie aber nicht löse, trösten sich nun Konservative. Bei Caffier führte dies dazu, noch schnell vor dem Wahltag nach einem bundesweiten Burka-Verbot zu rufen. Aber das kann die AfD nun wirklich viel überzeugender: brachiale Lösungen für Probleme anbieten, die gar nicht existieren. Doch nach ihren Konzepten gegen schlecht bezahlte Jobs, öffentliche Verschuldung, Versteppung ganzer Landstriche wurde sie offensichtlich gar nicht gefragt – weder von den Wählern noch von den Mitbewerbern.
Nun muss die Protestpartei mit 18 oder 19 Abgeordneten im Landtag zeigen, was sie wirklich drauf hat. Gegen alle anderen, denn die Linke wird sich in der Opposition ganz bestimmt nicht mit ihnen verbünden. Fünf Jahre lang. Wird sie die etablierten Parteien über diese Distanz genauso vor sich hertreiben können wie in fünf Monaten Wahlkampf? Dafür spricht wenig – und irgendwann werden sie das auch zwischen Lübtheen und Heringsdorf merken.