Berlin. Weiße Rosen haben sie dabei. Still legen Angela Merkel und Youssef Chahed die Blumen am Berliner Breitscheidplatz nieder, dort, wo schon so viele andere Blumen liegen. Dort, wo vor anderthalb Monaten zwölf Menschen starben und Dutzende schwer verletzt wurden, als der 24-jährige Anis Amri mit einem Lastwagen in den Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche raste. Der Attentäter stammte aus Tunesien. Nun ist der tunesische Ministerpräsident zu Gast. Er spricht sein Beileid aus. Merkel sagt, beide Länder seien nun „auf tragische Weise miteinander verknüpft“.
Es war sein Landsmann, der hier den Tod brachte. Aber Chahed will vermeiden, dass Tunesien den Ruf als Terrorexport-Land bekommt. Nach mehreren Terroranschlägen wurde 2015 der Ausnahmezustand in Tunesien verhängt. Amnesty International kritisiert Menschenrechtsverletzungen. Dennoch gilt es als das einzige Land, das nach dem arabischen Frühling von 2011 den Sprung Richtung Demokratie geschafft hat. Amri habe vor dem Anschlag bereits fünf Jahre in Europa gelebt, sagt der vor einem Jahr gewählte Chahed bei der Pressekonferenz im Kanzleramt. „Es ist die Frage, wie es zu dieser Gehirnwäsche, dieser Radikalisierung kam.“ Merkel ergänzt, nur ein Bruchteil der Tunesier in Deutschland, von denen es ohnehin nur 30 000 gibt, gelte als Gefährder.
Auch die Kanzlerin stellt Tunesien nicht als Gefahrenort dar. Ein „Hoffnungsprojekt“ hat sie das Land bereits am Wochenende genannt, den Unionsparteien gilt Tunesien als stabil genug, um Abschiebungen dorthin – durch die Einstufung Tunesiens als sicheres Herkunftsland – weiter zu erleichtern.
Mit dem Premier spricht sie über Wirtschaftsförderung und eine deutsch-tunesische Universität. Die Jugendarbeitslosigkeit im Land ist hoch, Hoffnung auf ein gutes Leben im Land soll es für die jungen Tunesier geben, damit nicht auch sie sich noch aufmachen nach Europa. Bislang kommen die wenigsten Flüchtlinge aus Tunesien, nach Darstellung Merkels nur ein Prozent all jener, die 2016 übers Mittelmeer nach Italien gekommen sind.
Merkel erwähnt auch das regierungslose tunesische Nachbarland Libyen, die Terroranschläge auf Tourismusziele im Land. Tunesien stehe insgesamt vor einer „sehr sehr schwierigen Aufgabe“. Deutschland wolle es dabei unterstützen. Und umgekehrt soll Tunesien Deutschland unterstützen. 1500 Tunesier gelten als ausreisepflichtig. Die Abschiebung gehe „noch nicht schnell genug“, sagt Merkel. Hier mischt sich wieder der Fall Amri ins Bild. Auch der Attentäter sollte abgeschoben werde. Deutsche Behörden klagen, die tunesischen Ämter hätten die notwendigen Unterlagen zu zögerlich geliefert. Wenn das so ist, ist es wohl nur einer der Punkte, die im Fall Amri schief gelaufen sind. Chahed jedenfalls sagt, seine Behörden hätten alles richtig gemacht. Und dann ist da noch die Frage der Auffanglager für Flüchtlinge, die Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) an der nordafrikanischen Küste einrichten will. Auch SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann hat sich der Forderung mittlerweile angeschlossen, dafür allerdings in den eigenen Reihen harsche Kritik erfahren.
Der tunesische Ministerpräsident weist den Vorschlag für sein Land zurück. Man habe dafür gar nicht die Kapazitäten. Und mit Merkel habe er über das Thema nicht verhandelt. „Auffanglager waren nicht Teil unseres Gesprächs.“
Die Kanzlerin selbst weicht auf ganz andere Weise aus. Schon das Wort will sie nicht wiederholen. Es sei „nicht Teil meines Sprachschatzes“. Statt dessen spricht sie lieber von „bestimmten Einrichtungen, vom UNHCR betreut“, mit denen verhindert werden solle, dass sich Menschen überhaupt erst auf den gefährlichen Weg übers Mittelmeer machten. Aber nein, mit Ministerpräsident Chahed habe sie über dieses Thema nicht gesprochen.
Die Bundesregierung will freiwillige Rückkehr nach Tunesien finanziell fördern. Und offenbar auch ein Beratungszentrum gegen Folter fördern.