Seuchen haben in der Vergangenheit oftmals zur Verringerung der sozialen Ungleichheit beigetragen, wenn auch immer nur für kurze Zeit. Typisch dafür war die Pest, von der Europa im Mittelalter heimgesucht wurde: Damals sanken wegen ausbleibender Käufer die Lebensmittel-, Boden- und Immobilienpreise, während die Löhne wegen fehlender Arbeitskräfte stiegen. Hauptleidtragende der Cholera-, Tuberkulose und Typhusepidemien des 19. Jahrhunderts waren hingegen die Bewohner der Armenviertel in den Industriezentren.
Bei dem als Sars-CoV-2 bezeichneten Virus erhöhen miserable Arbeitsbedingungen und unhygienische Wohnverhältnisse ebenfalls das Infektionsrisiko. Wie die Cholera trifft Corona besonders Immun- und Einkommensschwache, zu denen Obdach- und Wohnungslose, aber auch andere Bewohner von Gemeinschaftsunterkünften, etwa Gefangene, Geflüchtete sowie (süd)osteuropäische Werkvertragsarbeiter deutscher Großschlachtereien und nichtdeutsche Saisonarbeiter gehören. Auch Migranten ohne gesicherten Aufenthaltsstatus, Pflegebedürftige, Suchtkranke und Transferleistungsbezieher sind besonders betroffen.
Heftige Verluste für Kleinaktionäre
Weltweit brachen die Aktienkurse infolge der Covid-19-Pandemie vorübergehend ein; dramatische Verluste erlitten aber vornehmlich Kleinaktionäre, die zu überhasteten Verkäufen neigen. Großinvestoren dürften die Gunst der Stunde für Ergänzungskäufe genutzt und davon profitiert haben, dass der Kurstrend bald wieder nach oben zeigte. Nach den ersten beiden Quartalen dieses Jahres erreichte das Finanzvermögen laut ING Deutschland mit über 6,5 Billionen Euro einen neuen Höchststand.
Erstellt man eine Liste jener Konzerne, die von der Lage sogar profitiert haben, reicht sie von A wie Amazon bis Z wie Zalando. Auch wer einen Lieferservice, eine Drogerie oder einen Baumarkt besaß, der nicht geschlossen werden musste, hat mehr Gewinn als sonst gemacht.
Durch die verteilungspolitische Schieflage der meisten Hilfsmaßnahmen des Staates hat sich die Kluft zwischen Arm und Reich noch vertieft. Je umsatzstärker und deshalb meist auch kapitalkräftiger ein Unternehmen ist, umso stärker profitiert es beispielsweise von der Mehrwertsteuersenkung, insbesondere dann, wenn es diese nicht an seine Kunden weitergibt. Die am härtesten von der Pandemie betroffenen Personengruppen kaufen keine hochpreisigen Konsumgüter, bei denen sich die zeitweilige Steuerersparnis am ehesten auswirkt. Auch deshalb sind Reiche während der pandemischen Ausnahmesituation reicher und Arme zahlreicher geworden.
Unser Gastautor
wurde an der Uni Bremen promoviert und hat als Professor für Politikwissenschaft in Köln gelehrt. Just ist sein Buch „Ungleichheit in der Klassengesellschaft“ erschienen.
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