Eine ganze Woche hat es gedauert, bis die Endergebnisse der Parlamentswahlen im Irak offiziell bekannt gegeben wurden. Dabei hatte die Wahlkommission sie bereits am Wahlabend versprochen. Doch das neue elektronische Wahlsystem funktionierte nicht überall. Manche konnten die komplizierten Maschinen nicht bedienen, manchmal fielen sie mangels Strom aus.
Die Wähler mussten nämlich kein Häkchen mehr an die gewünschte Partei oder den gewünschten Kandidaten kritzeln, sondern denen einen Stempel aufdrücken. Die Wahlzettel wurden danach in eine Maschine, nicht mehr in eine Urne geschoben. Dieses elektronische Gerät sollte dann sofort die Stimmen zählen und an einen Zentralcomputer weiterleiten. Doch wie schon gesagt, das klappte nicht überall – vor allem nicht in Kurdistan und auch nicht in Kirkuk. Dort musste wie eh und je von Hand ausgezählt werden.
Am Sieg änderte das aber nichts. Der schiitische Prediger Moktada al-Sadr stand schon nach den Zwischenergebnissen zusammen mit den Kommunisten als Gewinner fest. Der Abstand des Bürgerbündnisses Sa’irun zu den anderen war nicht mehr aufzuholen. Doch um Platz zwei und drei wurde es spannend. Mal lag Premierminister Haider al-Abadi mit seiner Siegesallianz vorne, mal die Liste Fatah (Eroberung) der Schiitenmilizen Hashid al-Shabi.
Im Endergebnis wurde Abadi dritter, Hashid zweiter. Und das ist bemerkenswert. Denn sowohl Sa’irun als auch Fatah sind neue Allianzen, die ohne die Terrormiliz Daesh undenkbar wären. Die Wähler haben ein deutliches Zeichen gesetzt: Sie wollen Veränderung, Wechsel, Schluss mit dem Alten. Deshalb hat Abadi nicht gesiegt. Er hatte zu viele Kandidaten von dem alten, verhassten Establishment in seinen Reihen.
Doch die beiden Neuen in der politischen Landschaft Iraks – Sa’irun und Fatah – könnten kontroverser nicht sein. Während Moktada al-Sadr, der schiitische Prediger, auf Distanz zum Iran geht und im Vorfeld der Wahlen sogar ins sunnitische Kernland Saudi-Arabien reiste, ist Fatah ein Gewächs Teherans. Ihr Chef, Hadi al-Amari, führte die Schiitenmilizen gegen Daesh an und war zuvor Anführer der Badr-Organisation, einer von Exilirakern zu Zeiten Saddam Husseins in Teheran gegründeten Miliz.
Nach dem Sturz Saddams kam Badr mit etwa 10.000 Kämpfern in den Irak und gewann seitdem beständig an Einfluss. Zusammen mit den iranischen Al-Quds-Brigaden, den militärischen Spezialeinheiten für ausländische Einsätze, führte Amiri die Rückeroberung von Saddams Heimatstadt Tikrit durch und war auch maßgeblich an der Befreiung Mossuls aus den Händen von Daesh beteiligt.
Vor allem im Süden Iraks haben die Leute Fatah gewählt. Dort, wo unzählige Särge mit toten Hashid-Kämpfern ankamen, die in den Gefechten mit Daesh ihr Leben ließen. Für sie sind Hashid al-Shabi Helden. Keine andere Stadt schickte so viele Freiwillige an die Front wie Basra. Und keine andere Stadt hat so viele tiefe Verbindungen zum Iran. Nicht umsonst wird die mittlerweile zweitgrößte Stadt Iraks im Volksmund die Provinz Teherans genannt.
Die Regierungsbildung dürfte sich deshalb schwierig gestalten. Keine der drei stärksten Listen konnte sich im 329 Sitze umfassenden Parlament in Bagdad eine entscheidende Vormachtstellung sichern. Sadrs Bündnis Sa’irun kam auf 54 Sitze, die Eroberungsallianz Fatah auf 47 und Abadis Sieger-Liste auf 42 Sitze. Die danach folgenden Allianzen und Bündnisse, etwa von Abadi-Vorgänger Nuri al-Maliki oder dem ersten Übergangspremier Ijad Allawi, sind unter 30 Sitzen geblieben.
Im Irak ist noch nie etwas einfach gewesen
Am 1. Juli tritt das alte Parlament zu seiner letzten Sitzung zusammen, um dann den neuen Abgeordneten Platz zu machen. Ob Teheran es bis dahin schafft, die zerbrochene und korrupte Schiitenallianz wieder zu kitten und sie erneut die Regierung bilden zu lassen, muss abgewartet werden. Ebenso das Verhalten der USA, die seit dem Kampf gegen Daesh wieder an Einfluss im Irak gewonnen haben.
Ob sie sich zur Unterstützung Moktada al-Sadrs durchringen, obwohl dieser unzählige Sprengsätze gegen die Besatzer vor zehn Jahren gezündet hat? Und wie wird sich Haider al-Abadi entscheiden, den vor allem der Westen schon als Wahlsieger sah? Wird er ins neue Lager wechseln oder bei den Alten bleiben? Diese Fragen müssen in den nächsten Wochen geklärt werden. Ein nicht einfaches Unterfangen. Doch im Irak ist noch nie etwas einfach gewesen.
birgit.svensson@weser-kurier.de
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