Kommentar über die Achse Paris-Berlin Kein Selbstläufer, aber unverzichtbar

Wo stehen die deutsch-französischen Beziehungen in Zeiten von Brexit, Corona und dem Druck, die internationale Rolle Europas stärker prägen zu müssen? Unsere Paris-Korrespondentin Birgit Holzer gibt Antworten.
22.01.2021, 05:00 Uhr
Lesedauer: 3 Min
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Von Birgit Holzer

Die Bewohner eines Altenheims in Düsseldorf dürfen sich in diesen Tagen über deutsche Theater- und Musikstücke freuen, die französische Jungschauspieler für sie aufgezeichnet haben. Kulturell Interessierte in Deutschland und Frankreich können digitale Stadtführungen durch Straßburg und Köln entlang von Themen wie Erinnerungskultur und Europa erleben. Oder man debattiert bei zweisprachigen Online-Veranstaltungen über Umweltschutz im Alltag. Da die Beteiligten dieser Projekte physisch zurzeit nicht zusammenkommen können, fördert der deutsch-französische Bürgerfonds 50 virtuelle Aktionen rund um den deutsch-französischen Freundschaftstag an diesem Freitag.

Jedes Jahr am 22. Januar wird an die Unterzeichnung des Élysée-Vertrags im Jahr 1963 zwischen dem damaligen deutschen Bundeskanzler Konrad Adenauer und dem französischen Präsidenten Charles de Gaulle erinnert – und damit an eine herausragende Geste zu einer Zeit, als der Zweite Weltkrieg noch keine 18 Jahre zurücklag. Ihre Nachfolger versuchten seitdem mit wechselnder Intensität, die Wichtigkeit einer soliden Achse Paris-Berlin auch in Zeiten verblasster Kriegserinnerungen im Bewusstsein zu halten. Diese steht außer Frage, gerade angesichts des nun vollzogenen Brexits, der Bekämpfung der Pandemie und anderen Herausforderungen. Das Bild vom deutsch-französischen Motor für die EU wurde oft bemüht. Zutreffend bleibt es, ohne dass aus einem binationalen Tête-à-Tête der Ausschluss anderer Mitgliedstaaten erfolgen darf.

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2019 ergänzten Kanzlerin Angela Merkel und Präsident Emmanuel Macron das Abkommen von 1963 um den Aachener Vertrag, der unter anderem den Grundstein für den deutsch-französischen Bürgerfonds zur Unterstützung von Projekten der Zivilgesellschaft legte. Als Nachbarn scheinen Deutsche und Franzosen einander vertraut – tatsächlich gibt es aber etliche kulturelle Unterschiede, die im besten Fall Erstaunen, manchmal auch Unverständnis hervorrufen. Das fängt bei Gewohnheiten wie Essen oder Pünktlichkeit an und hört bei der Haltung zum Militär oder den Aufgaben des Staates längst nicht auf.

Ausgeräumt werden können Missverständnisse jedoch nur, wenn man den jeweils anderen zu verstehen versucht – manchmal mit einem Sprung über den eigenen Schatten. Das gilt auch für die Diplomatie. Ein Selbstläufer waren die deutsch-französischen Beziehungen nie. Unterschiedliche Interessen und Auffassungen prägten sie auch dann, als das Duo an der Spitze zu einem so vertrauensvollen Umgang miteinander fand wie Helmut Schmidt und Valéry Giscard d`Estaing oder später Helmut Kohl und François Mitterrand.

Merkel und Macron betonen gerne demonstrativ die Bedeutung einer engen Partnerschaft, auch wenn sie sich in der Sache nicht immer einig sind, was etwa die Debatten um eine dauerhafte Vergemeinschaftung von Schulden innerhalb der Eurozone oder der Umgang mit Konflikten etwa mit der Türkei zeigten. Abstimmungen ihrer Positionen im Vorfeld internationaler Gipfel gelten heute aber genauso als Selbstverständlichkeit wie der Austausch von Parlaments- oder Regierungsmitarbeitern. An diesem Freitag tagt die deutsch-französische Parlamentarische Versammlung.

Solche Initiativen bleiben wichtig, denn gerade in der Ausnahmesituation des vergangenen Jahres wurden auch Missstände deutlich. Beim Ausbruch der Pandemie handelten die EU-Staaten reflexhaft national, teilten nicht etwa medizinisches Material oder Strategien, bevor sie sich doch noch auf gemeinschaftliche Lösungen besannen. Zu Recht hat das einseitige Schließen der Grenzen durch Deutschland in Frankreich irritiert; die Wogen glätteten sich, als deutsche Kliniken französische Covid-19-Patienten behandelten und beide Länder schließlich einen Kompromissvorschlag für einen EU-weiten Aufbaufonds präsentierten.

Die Episode hat gezeigt, wie wichtig die ständige Kommunikation auf allen Ebenen bleibt. Auf jener der Politik wie auch zwischen den Bürgern, die einander zwar nicht besuchen können, aber online diskutieren, singen und Theater spielen.

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